Das niedersächsische Landesarbeitsgericht in Hannover hat über die Rechtmäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung entschieden und hierbei zahlreiche interessante Ausführungen zu Verfahrensfehlern im Rahmen der Beweisaufnahme und zur Beweiswürdigung gemacht. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig geworden. Hier der Volltext der sehr lesenswerten Entscheidung:

Landesarbeitsgericht Niedersachsen

Im Namen des Volkes

Teilurteil

17 Sa 54/22
1 Ca 161/21 ArbG Nienburg

In dem Rechtsstreit

(…)

– Kläger, Berufungsbeklagter und Berufungskläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Witte und Steveker, Stettiner Str. 12 – 14, 27232 Sulingen

gegen

(…)

– Beklagte, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte –

Prozessbevollmächtigter: (…)
hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Januar 2023 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht S sowie
den ehrenamtlichen Richter Herrn W und den ehrenamtlichen Richter Herrn T als
Beisitzer für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 02.12.2021, Az. 1 Ca 161/21, zu Ziffer 1) und zu Ziffer 3), soweit es die Zahlungsansprüche für den Monat März 2021 betrifft, teilweise abgeändert und insoweit zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 31.03.2021 und 08.04.2021 weder fristlos noch fristgerecht beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2021 1.916,57 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2021 zu zahlen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg wird für gegenstandslos erklärt, soweit es die Beklagte für Mai 2021 zur Zahlung in Höhe von 2.334,28 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verurteilt hat.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird im Übrigen hinsichtlich der Zahlungsansprüche für März 2021 zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
Die Parteien streiten – soweit zweitinstanzlichen noch von Interesse – darüber, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten vom 31.03.2021 und 08.04.2021 beendet worden ist, sowie über Zahlungsansprüche des Klägers für den Zeitraum März bis April 2021 sowie Juni 2021 bis Oktober 2022.

Der am 16.06.1968 geborene Kläger ist seit dem 02.09.2013 auf der Basis eines Arbeitsvertrages vom 21.08.2013 (Bl. 7-8 dA.) bei der Beklagten als Buchbinder tätig. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden betrug der Bruttostundenlohn zuletzt 18,00 €. Die Beklagte beschäftigt 25 Arbeitnehmer.

Der Kläger befand sich vom 15.02. bis 26.03.2021 in Kurzarbeit „Null“ (Arbeitszeitkonto Bl. 64 R bis 65 dA.), wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dies mit Einverständnis des Klägers erfolgte. Am 29. und 30.03.2021 war der Kläger in der Spätschicht eingeteilt. Dabei kam es am 30.03.2021 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist. Am 31.03.2021 meldete sich der Kläger für einen Tag krank, ohne hierfür eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.03.2021 (Bl. 10 dA.) „fristgerecht zum 30.05.2021“. Mit einem weiteren Schreiben vom 08.04.2021 (Bl. 11 dA.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit sofortiger Wirkung. Die Entgeltansprüche des Klägers für März 2021 rechnete die Beklagte in Höhe von 1.916,57 € brutto/1.829,21 € netto unter Einbeziehung von Kurzarbeitergeld für 160 Stunden, 8 Stunden Entgeltfortzahlung und 16 Normalstunden nebst Nachtzuschlag ab (Bl. 162 dA.). Mit Abrechnung für April 2021 (Bl. 166 dA.) nahm die Beklagte einen Abzug in Höhe von 3.138,30 € brutto für den Ausgleich von Fehlzeiten im Umfang von 174,35 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers vor. Der Kläger erhielt am 18.05.2021 Sozialleistungen in Höhe von 1.568,08 €, am 31.05.2021 in Höhe von 766,20 € und am 09.06.2021 in Höhe von 150,00 € sowie am 29.07.2021, 30.08.2021, 29.09.2021, 28.10.2021 und fortlaufend jeweils am Monatsende bis einschließlich August 2022 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.229,70 € netto monatlich. Für die Monate September und Oktober 2022 bezog der Kläger am 31.10.2022 Sozialhilfe in Höhe von 922,33 € pro Monat.
Mit seiner am 19.04.2021 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 31.03.2021 und 08.04.2021 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, für die Kündigungen lägen keine Gründe vor. Eine soziale Rechtfertigung sei nicht ersichtlich.

Erstinstanzlich hat der Kläger darüber hinaus die Entfernung dreier Abmahnungen aus der Personalakte begehrt, welche in der Berufungsinstanz nicht mehr streitgegenständlich sind. Weiterhin hat der Kläger die Zahlung von insgesamt 22.320,00 € brutto für die Monate März bis September 2021 abzüglich 6.023,38 € netto Arbeitslosengeld eingeklagt. Hierzu hat er die Auffassung vertreten, für März 2021 stehe ihm Vergütung für 184 Stunden á 18,00 € brutto, insgesamt 3.312,00 € brutto, nebst Verzugszinsen zu. Ab April 2021 sei eine monatliche Bruttovergütung von 3.168,00 € nebst Verzugszinsen zu zahlen. Ein Abzug von Minusstunden sei nicht gerechtfertigt. Insoweit fehle es bereits an der wirksamen Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos. Der Kläger behauptet, er habe auch keine Gelegenheit gehabt, Minusstunden abzubauen. Wegen der erstinstanzlich beschiedenen Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils vom 02.12.2021 (Bl. 90 dA.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe gemeint, einen Anspruch auf Kurzarbeit zu haben und schon im Jahr 2020 seinen Urlaub um eine Woche Kurzarbeit verlängern wollen. Am 30.03.2021 gegen 14:00 Uhr bis 14:30 Uhr habe der Kläger zu seinem Abteilungsleiter, dem Zeugen gesagt, dass er weiter Kurzarbeit machen und nicht arbeiten wolle. Er wolle hierüber mit dem Geschäftsführer der Beklagten reden. Sollte der Geschäftsführer dem nicht zustimmen, würde er sich einen „gelben Schein“ holen. Diese Information habe der Zeuge an den Geschäftsführer weitergeleitet. Am späten Nachmittag habe der Kläger beim Geschäftsführer in der Bürotür gestanden und mitgeteilt, dass er die Firma verlassen, aber nicht selbst kündigen wolle, weil er dann eine Sperre bekäme und noch keine neue Arbeitsstelle hätte. Weil er sich in Stuttgart um eine Arbeitsstelle bemühen wolle, habe er vom Geschäftsführer der Beklagten verlangt, dass er weiter Kurzarbeit machen dürfe und damit nicht so häufig zu Vorstellungsgespräche nach Stuttgart reisen müsse. Daraufhin habe der Geschäftsführer der Beklagten erklärt, dass er nicht in Kurzarbeit gehen könne, da die Voraussetzungen in seinem Fall derzeit nicht vorlägen. Im Verlauf des dann folgenden Gesprächs sei es zu massiven Vorwürfen und Beleidigungen gegen den Geschäftsführer der Beklagten gekommen. Wörtlich habe der Kläger zum Geschäftsführer gesagt: „Sie sind ein Diktator“. Erst auf massives Drängen, wieder an die Arbeit zu gehen und das Gespräch zu beenden, habe der Kläger die Arbeit am späten Nachmittag wieder aufgenommen. Am Folgetag habe der Kläger beim Zeugen angerufen und behauptet, er habe so starke Kopfschmerzen, dass er nicht zur Arbeit kommen könne. Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt. Der Kläger verhalte sich seit geraumer Zeit gegenüber seinen Vorgesetzten, d. h. dem Zeugen und der Geschäftsführung, obstruktiv und aggressiv. Deswegen sei der Kläger mit den erstinstanzlich streitgegenständlichen Abmahnungen dreimal abgemahnt worden. Die Beleidigungen müsse sich kein Vorgesetzter gefallen lassen. Die Androhung, dass der Kläger sich krankmelden würde, wenn er nicht in Kurzarbeit komme, rechtfertige zudem eine Kündigung. Es handele sich um angekündigtes Vortäuschen einer nicht gegebenen Arbeitsunfähigkeit.

Zu der fristlosen Kündigung vom 08.04.2021 hat die Beklagte behauptet, nach dem Erhalt der ordentlichen Kündigung habe der Kläger mit erheblich verminderter Arbeitsleistung reagiert und angefangen, regelrecht zu bummeln und häufige Pausen zu machen. Am 08.04.2021 sei er an der Papierschneidemaschine mit der Aufgabe eingesetzt gewesen, die großen Druckbogen zurecht zu schneiden und auf einer Palette bereitzustellen. Der Kläger habe so langsam gearbeitet und so häufige Pausen gemacht, dass ein Stillstand bei den Kollegen an der Falzmaschine gedroht habe. Der Zeuge habe dann den Schneidevorgang selbst vorgenommen und den Kläger an einer Falzmaschine eingesetzt. Daraufhin sei der Kläger gegenüber dem Zeugen laut und aggressiv geworden. Er habe sich dessen Gesicht bis auf einen Finger breit genähert und geäußert, dass dieser wohl schwul sein müsse, nein, ganz bestimmt schwul sei, sonst würde er sich nicht so verhalten, sondern wie ein Mann. Der Zeuge sei nach diesem Vorfall völlig geschockt gewesen. Der Kläger habe dann an der Falzmaschine den Bestandteil einer Broschüre (einen Falzbogen) falsch herum in die Maschine eingelegt, ohne sich um die Kontrolle des Falzvorgangs zu kümmern, sodass der Falzbogen zerstört worden sei und habe nachgedruckt werden müssen. Die Beklagte gehe von Vorsatz, jedenfalls aber größter Fahrlässigkeit aus. Der hierdurch verursachte Schaden belaufe sich auf rund 1.000,00 €. Nachdem der Geschäftsführer durch den Zeugen von dem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses und ein Hausverbot ausgesprochen. Beim Verlassen des Betriebes habe der Kläger dem Zeugen laut und aggressiv mit den Worten gedroht, wenn sie sich noch einmal in Diepholz begegnen würden, solle der Zeuge besser die Straßenseite wechseln, sonst würde er ihm zeigen, wer er wirklich wäre.

Zu den geltend gemachten Zahlungsansprüchen hat die Beklagte die Auffassung vertreten, es liege eine wirksame Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos durch die Verweisung in § 3 des Arbeitsvertrages auf eine Betriebsvereinbarung vom 01.10.1999 (Bl. 66-68 dA.) vor. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe ausreichend Gelegenheit gehabt, die Minusstunden abzuarbeiten. Wann immer der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger gefragt habe, ob er nicht die Minusstunden verringern und mehr Stunden leisten wolle, habe dieser dies abgelehnt.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen (wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.12.2021, Bl. 83-85 dA., Bezug genommen).

Mit Urteil vom 02.12.2021 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 08.04.2021 nicht fristlos aufgelöst worden ist. Die Beklagte wurde zur Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte sowie – unter Ziffer 3 des Tenors – zur Zahlung von 3.312,00 € brutto für März 2021,3.168,00 € brutto abzüglich 41,54 € netto für April 2021 und 3.168,00 € brutto für Mai 2021 jeweils nebst Zinsen ab dem Beginn des Folgemonats verurteilt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Abmahnungen seien inhaltlich nicht ausreichend bestimmt. Hinreichende Gründe für eine außerordentliche Kündigung seien nicht dargelegt. Die behaupteten Äußerungen des Klägers am 08.04.2021 seien unter Berücksichtigung der notwendigen Interessenabwägung nicht geeignet, eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Die behaupteten Arbeitspflichtverletzungen, insbesondere ein vorsätzliches Falschbedienen der Falzmaschine, seien nicht hinreichend dargelegt. Zudem sei nicht ersichtlich, dass keine milderen Mittel als Reaktion geeignet gewesen sein. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung vom 31.03.2021 wendet. Das Arbeitsgericht hat aufgrund der Vernehmung des Zeugen als bewiesen angesehen, dass der Kläger am 30.03.2021 erklärt habe, dass er weiter in Kurzarbeit arbeiten wolle und sich einen gelben Schein holen würde, sollte der Geschäftsführer der Beklagten dem nicht zustimmen. Die Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung rechtfertige den Ausspruch der ordentlichen Kündigung. Weiterhin hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 3.312,00 € brutto für März 2021 verurteilt und dies damit begründet, der Kläger habe die Arbeitsleistung unstreitig erbracht. Der Vergütungsanspruch sei nicht durch Verrechnung mit Minusstunden untergegangen, da die Beklagte nicht hinreichend dargelegt habe, dass tatsächlich 174,35 Minusstunden angefallen seien. Für April habe der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von 3.168,00 € brutto abzüglich 41,54 € netto auf der Grundlage erbrachte Arbeitsleistung bis 08.04.2021 und in der Folgezeit aufgrund Annahmeverzugs der Beklagten. Für Mai 2021 habe der Kläger einen Anspruch auf 3.168,00 € brutto Annahmeverzugslohn.

Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger am 28.12.2021 und der Beklagten am 22.12.2021 zugestellt. Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.01.2022 und der Kläger mit Schriftsatz vom 25.01.2022 Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 28.03.2022 mit Schriftsatz vom 28.03.2022 begründet, welcher der Beklagten am 30.03.2022 zugestellt wurde. Innerhalb der für sie bis zum 21.03.2022 verlängerten Begründungsfrist hat die Beklagte eine Berufungsbegründung nicht eingereicht. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 04.04.2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Schriftsatz vom 27.04.2022 hat die Beklagte vorsorglich Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger macht mit seiner Berufung zunächst die Ansprüche geltend, über welche nicht bereits erstinstanzlich zu seinen Gunsten entschieden worden ist. Für den Fall einer entsprechenden Umdeutung wolle er sich auch gegen eine ordentliche Kündigung vom 08.04.2021 wehren. Darüber hinaus begehrt der Kläger klageerweiternd Annahmeverzugslohn für den Zeitraum Oktober 2021 bis Oktober 2022 in Höhe von 3.168,00 € brutto monatlich. Hierauf lässt sich der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von jeweils 1.229,70 € für die Monate Oktober 2021 bis April 2022 und monatlich 1.229,79 € für die Monate Mai 2022 bis August 2022, sowie SGB II-Leistungen für September und Oktober 2022 in Höhe von je 922,33 € anrechnen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die erstinstanzliche Beweiserhebung verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, da ihm ausweislich des Protokolls der Kammerverhandlung nicht die Gelegenheit zur Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gegeben worden sei. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht die Anhörung bzw. Vernehmung des Klägers als Partei versäumt. Die Aussage des Zeugen sei – was der Kläger im Einzelnen ausführt –
unglaubhaft gewesen. Es bestünden u.a. aufgrund des Aussageverhaltens des Zeugen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 02.12.2021 teilweise abzuändern und wie folgt zu erkennen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung vom 08.04.2021 noch durch die Kündigung vom 31.03.2021 aufgelöst ist.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 12.672,00 € brutto nebst Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 3.168,00 € brutto ab dem 01.07.2021, 01.08.2021, 01.09.2021 und 01.10.2021 abzüglich übergegangener 3.839,10 € netto zu zahlen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.504,00 € brutto abzüglich 3.689,10 € netto nebst Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten auf 3.168,00 € seit dem 01.11.2021 sowie jeweils weitere 3.168,00 € seit dem 01.12.2021 und 01.01.2022 zu zahlen;
  4. an den Kläger 12.672,00 € brutto abzüglich 4.918,80 € netto nebst Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten auf 3.168,00 € seit dem 01.02.2022 sowie jeweils weitere 3.168,00 € seit dem 01.03.2021, 01.04.2022 und 01.05.2022 zu zahlen.
  5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.008,00 € brutto abzüglich 6.763,82 Euro netto nebst Verzugszinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 3.168,00 € seit dem 01.06.2022, 01.07.2022, 01.08.2022, 01.09.2022, 01.10.2022 sowie 01.11.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

sowie:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 02.12.2021, Az.: 1 Ca 161/21, wird hinsichtlich Ziffer 3 des Tenors abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.829,21 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01. 04.2021, 3.168,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.05.2021 abzüglich am 04.05.2021 gezahlter 41,54 € sowie am gleichen Tag verrechneter 3.138,30 € brutto Fehlzeitenausgleich zu zahlen sowie 3.168,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2021.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30.05.2022 beantragt,

die (Anschluss-)Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat seinen Wiedereinsetzungsantrag zunächst damit begründet, der Beklagtenvertreter sei am 11.03.2022 an Covid-19 erkrankt und habe sich bis 21.03.2022 in Quarantäne begeben müssen. Am 17.03.2022 habe er seine langjährige Mitarbeiterin beauftragt, nach Einholung der Einwilligung der Gegenseite eine Fristverlängerung für die Berufungsbegründung bis 11.04.2022 zu beantragen. Die Mitarbeiterin habe es jedoch versäumt, das Fristverlängerungsgesuch an das Landesarbeitsgericht zu übersenden. Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts, dass eine weitere Fristverlängerung auch mit Zustimmung des Gegners nicht möglich gewesen wäre, begründet die Beklagte das Wiedereinsetzungsgesuch ergänzend damit, der Beklagtenvertreter als Einzelanwalt sei durch die Covid-Erkrankung und die Quarantäneanordnung an der rechtzeitigen Einreichung der Berufungsbegründung gehindert worden. Dieser habe von zu Hause aus keinen Zugang zum Netzwerk der Rechtsanwaltskanzlei und keinen Zugriff auf die Rechtsanwaltssoftware sowie die Karte für die beA-Korrespondenz gehabt. Die Erstellung der Berufungsbegründung sei ihm mangels in seiner Wohnung zur Verfügung stehender EDV und Akte, welche in der Kanzlei gelegen habe, ebenso wenig möglich gewesen, wie die Bestellung eines Vertreters. Vorsorglich werde die Anschlussberufung erklärt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, sie habe die Vergütungsansprüche für März 2021 aufgrund überwiegend durchgeführter Kurzarbeit zu Recht nur mit 1.916,57 € brutto abgerechnet, wogegen der Kläger keine Einwendungen erhoben habe. Darüber hinaus sei sie aufgrund des Arbeitszeitkontos berechtigt, die sich aus der Zeiterfassung ergebenden Minusstunden mit der Vergütung zu verrechnen. Das Arbeitszeitkonto ergebe sich aus der vorgelegten Betriebsvereinbarung. Die Verurteilung zur Zahlung für Mai 2021 sei hingegen nicht Gegenstand der Berufung.

Die Beklagte behauptet, die Kurzarbeit habe jeweils auf entsprechender, vorheriger, mündlicher Vereinbarung zwischen den Parteien beruht. Darüber hinaus habe der Kläger am 17.03.2020 schriftlich sein Einverständnis erklärt (Bl. 268 f dA.). Der Kläger habe niemals gegen die Anordnung der Kurzarbeit protestiert und zu erkennen gegeben, dass er arbeitsfähig sei und arbeiten wolle. Der Kläger habe nicht weniger, sondern mehr Kurzarbeit machen wollen, um sich seinen anderweitigen Bewerbungen widmen zu können.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Feststellungen des Arbeitsgerichts zu den Gründen der Kündigung vom 31.03.2021 seien nicht zu beanstanden. Sie behauptet, über das Ergebnis der Beweisaufnahme sei von den Parteien verhandelt worden, ohne dass dies ausdrücklich im Protokoll wiedergegeben sei.

Die Beklagte meint, dem Kläger stünden selbst bei Unwirksamkeit der Kündigung keine Annahmeverzugslohnansprüche zu. Der Kläger müsse sich vorwerfen lassen, es böswillig zu unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Er sei nunmehr seit über anderthalb Jahren arbeitslos, ohne dass erkennbar sei, dass der Kläger aktiv einer neuen Beschäftigung suche. Auf die Aufforderung, über anderweitigen Verdienst und sämtliche Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit Auskunft zu erteilen, habe der Kläger – was unstreitig ist – mit Schreiben vom 14.09.2022 (Bl. 265 dA.) mitgeteilt, dass er während seiner Arbeitslosigkeit nur einen einzigen Vermittlungsvorschlag erhalten habe, ohne zu erklären, ob er sich darauf beworben habe. Zwar sei der Vermittlungsvorschlag zwischenzeitlich durch den Kläger zur Verfügung gestellt worden. Allerdings habe die Beklagte – was unstreitig ist – einen weiteren Auskunftsanspruch darüber geltend gemacht, auf welche Stellen sich der Kläger seit dem 08.04.2021 beworben habe, und um Vorlage der Bewerbungen gebeten. Diese Auskunft sei hinsichtlich der eigenen Bewerbungen des Klägers nicht vollständig erteilt worden. Vielmehr habe der Kläger lediglich mitgeteilt, dass für 2021 keine Unterlagen mehr vorlägen und er sich für 2022 bei vier Unternehmen beworben habe, ohne die Bewerbungen vorzulegen. Die Beklagte meint, mangels vollständiger Erfüllung des Auskunftsanspruchs habe eine Zahlung jedenfalls derzeit nicht zu erfolgen.

Der Kläger trägt unbestritten vor, er habe angeboten, die Bewerbungen zu übersenden. Er behauptet, es sei ihm nicht möglich, kurzfristig eine neue Beschäftigung zu finden, da in der Region Diepholz kein Arbeitskräftemangel für die Tätigkeit als Buchbinder herrsche. Es gebe aktuell nur ein Stellenangebot als Buchbinder mit einem Stellenprofil, welches der Kläger nicht erfülle.

Weiterhin vertritt der Kläger die Auffassung, es liege keine wirksame Vereinbarung über Kurzarbeit vor. Zudem seien die Voraussetzungen des § 95 SGB II nicht erfüllt, weil die Beklagte trotz angeordneter Kurzarbeit „Null“ Hilfskräfte beschäftigt habe. Hilfsweise macht sich der Kläger die von der Beklagten abgerechneten Vergütungsansprüche für März 2021 zu eigen. Der Kläger behauptet, er habe gegen die Kurzarbeit protestiert, weil gleichzeitig Hilfskräfte über Dritte beschäftigt worden seien. Insbesondere nachdem er in der zweiten Woche der Kurzarbeit im März 2021 gehört habe, dass seine Tätigkeit von Hilfskräften verrichtet werde, sei er mehrfach im Betrieb erschienen, um zu fragen, warum er nicht eingesetzt werde. Die Beklagte habe dem Kläger jedoch ausdrücklich gesagt, dass er nicht arbeiten dürfe und zu Hause bleiben müsse. Der Zeuge habe den Kläger persönlich und per WhatsApp mitgeteilt, er solle zu Hause bleiben. Der Kläger meint, eines ausdrücklichen Arbeitsangebotes habe es mangels einer erforderlichen Mitwirkungshandlung der Beklagten durch die Zuweisung von Arbeiten nicht bedurft.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen S.

Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 27.01.2023 (Bl. 283-293 dA.) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach den Anträgen der Parteien die Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31.03.2021 sowie der Kündigung vom 08.04.2021 nach Umdeutung in eine ordentliche Kündigung. Daneben streiten die Parteien im Berufungsverfahren über die Höhe der Zahlungsansprüche des Klägers für die Monate März und April 2021 sowie klageerweiternd über etwaige Zahlungsansprüche für Juni 2021 bis Oktober 2022. Die Entscheidungen des Arbeitsgerichts über die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 08.04.2021 sowie die Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte und die Vergütungsansprüche des Klägers für Mai 2022 sind mit der Berufung nicht angegriffen worden.

Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil (§ 301 ZPO) über den Feststellungsantrag des Klä-gers sowie über die Vergütungsansprüche des Klägers für März 2021 entschieden. Eine Entscheidung über die Zahlungsansprüche für die April 2021 bis Oktober 2022 wurde dem Schlussurteil vorbehalten. Die Berufung des Klägers ist zulässig und – soweit durch Teilurteil entschieden wurde – teilweise begründet. Die Berufung der Beklagten ist als Anschlussberufung zulässig und – soweit Gegenstand des Teilurteils – teilweise begründet. Dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten in die Berufungsbegründungsfrist war nicht stattzugeben.

I.
Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§ 66 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO.

II.
Die wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässige Berufung der Beklagten ist in einer Anschlussberufung umzudeuten, welche die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt.

1.
Die Berufungsbegründung der Beklagten ist am 04.04.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Damit ist die bis zum 21.03.2022 verlängerte Begründungsfrist (Beschluss vom 22.02.2022, Bl. 140 dA.) nicht gewahrt.

2.
Der am 04.04.2022 gemeinsam mit der nachgeholten Begründung eingegangene Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist unbegründet.

a.
Gemäß § 233 Satz 1 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Dem Verschulden der Partei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gleich.

b.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist zulässig. Die Beklagte hat ihn innerhalb eines Monats nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und damit rechtzeitig eingelegt (§ 234 Abs. 1 Satz 2 Abs. 2 ZPO). Sie hat mit dem Antrag die Tatsachen, auf die sie diesen stützt, angeführt und die Mittel der Glaubhaftmachung im Lauf des Verfahrens eingeführt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

c.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

aa.
Soweit sich die Beklagte zunächst darauf berufen hat, die von ihrem Prozessbevollmächtigten überwachte Mitarbeiterin habe trotz entgegenstehender Anweisung versäumt, einen weiteren Fristverlängerungsantrag bei Gericht einzureichen, vermag dies eine Wiedereinsetzung nicht zu begründen. Wegen der Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG wäre eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gar nicht möglich gewesen. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass diese Vorschrift des Prozessrechts ihrem Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt unverschuldet nicht bekannt gewesen ist.

bb.
Es fehlt zudem an substantiiertem Sachvortrag dazu, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten krankheitsbedingt nicht in der Lage war, sich über diese Rechtslage Klarheit zu verschaffen. Gleiches gilt für eine krankheitsbedingte Hinderung an der Anfertigung und Einreichung der Berufungsbegründung. Die Beklagte hat zwar eine Covid-Infektion des Beklagtenvertreters glaubhaft gemacht, jedoch nicht im Einzelnen dargelegt, dass und in welchem Umfang es hierdurch zu krankheitsbedingten Beeinträchtigungen seiner Arbeitsfähigkeit gekommen ist. Die Beklagte beruft sich ausschließlich darauf, dass ihm infolge der häuslichen Absonderung die entsprechenden Arbeitsmittel nicht zur Verfügung gestanden hätten.

cc.
Die Beklagte hat ebenfalls nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter die erforderlichen Vorkehrungen gegen eine krankheitsbedingte Versäumung von Fristen getroffen und die während seiner Erkrankung gebotenen Maßnahmen ergriffen hat.

Die Beklagte hat sich lediglich darauf berufen, dass ihr Rechtsanwalt, der sich in häuslicher Absonderung befand, von dort aus keinen Zugriff auf die Rechtsanwaltssoftware und das Netzwerk der Kanzlei, sowie seine dort lagernde beA-Karte und die Akte gehabt habe. Es fehlt hingegen an Vortrag dazu, aus welchen Gründen es dem Prozessbevollmächtigten nicht möglich war, sich die Akte und die beA-Karte nach Hause bringen zu lassen und die Berufungsbegründung dort aus zu bearbeiten. Anhaltspunkte dafür, dass dies technisch nicht möglich war, liegen nicht vor. Das Vorbringen der Beklagten, ihr Rechtsanwalt habe die Anweisung gegeben, eine weitere Fristverlängerung beim Gericht zu beantragen, spricht vielmehr dafür, dass er dies für eine ausreichende Maßnahme gehalten und weitere Bemühungen für eine fristgerechte Bearbeitung nicht getroffen hat.

Ein Rechtsanwalt muss jedoch allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisung für einen solchen Fall geben und auch dann, wenn er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig ist, für seine Vertretung sorgen (vgl. u.a. BGH, 18.09.2008, V ZB 32/08, NJW 2008, 3571, Rn. 9). Angesichts der Corona-Pandemie musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten davon ausgehen, dass es zu Quarantäneanordnungen kommen könnte. Er hätte hierfür in Bezug auf die Wahrung laufender Fristen organisatorische Maßnahmen ergreifen können, etwa dergestalt, dass ihm Akten zur Bearbeitung in den Bereich seiner häuslichen Quarantäne gebracht und nach Bearbeitung abgeholt werden (vgl. OVG Bautzen, 14. Juni 2021, 6 B2 127/21,BeckRs 2021, 20730, Rn. 4).

3.
Die unzulässige Berufung der Beklagten ist jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB in einer Anschlussberufung im Sinne des § 524 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG umzudeuten.

a.
Für die Umdeutung einer unzulässigen Berufung in eine zulässige Anschlussberufung genügt es, wenn dies vom mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird (vgl. BGH, 02.02.2016,VI ZB 33/15, nach Juris, Randnummer 6 f.). Im Streitfall hat sich die Beklagte sogar ausdrücklich darauf berufen, vorsorglich Anschlussberufung einzulegen.

b.
Die Anschlussberufung ist zulässig innerhalb der gesetzten Frist zur Berufungserwiderung eingelegt und begründet worden (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Die Berufungsbegründung des Klägers ging am 30.03.2022 bei der Beklagten ein. Die Einlegung der Anschlussberufung ist mit Schriftsatz vom 27.04.2022 und damit fristgerecht erfolgt. Sie genügt – soweit die Beklagte sich gegen die erstinstanzliche Entscheidung wendet – den Anfor-derungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO.

B.
Die Berufung des Klägers ist – soweit sie Gegenstand des Teilurteils ist – auch begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.03.2021 nicht beendet worden. Es endet ebenfalls nicht aufgrund der in eine ordentliche Kündigung umgedeuteten Kündigung der Beklagten vom 08.04.2021.

I.
Die ordentliche Kündigung vom 31.03.2021 ist nicht sozial gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG.

1.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet § 1 KSchG Anwendung, da der Kläger zur Zeit des Kündigungszugangs 7 Jahre tätig war und die Beklagte 25 Arbeitnehmer beschäftigte. Die Wirksamkeit der Kündigung setzt daher nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG voraus, dass sie durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, bedingt ist.

Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (vgl. BAG, 15,.12.2016, 2 AZR 43/16, NZA 2017, 703, Rn. 11).

2.
Die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkran-kung durch den Arbeitnehmer kann ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich noch eintretende Krankheit geeignet sein, sogar einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar¬stellen, wenn der Arbeitnehmer versucht, durch eine unzulässige Drohung einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu erreichen (vgl. BAG, 12.03.2009, 2 AZR 251/07, AP Nr. 15 zu § 626 BGB Krankheit, Rn. 20 ff.). Auch das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit, um hierdurch Entgeltfort-zahlung zu erlangen, ist geeignet, eine Kündigung zu begründen (vgl. BAG, 26.08.1993, 2 AZR 154/93, NZA 1994, 63, 64).

a.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht für das Berufungsgericht jedoch nicht zur hin-reichenden Überzeugung (§ 286 ZPO) fest, dass der Kläger am 30.03.2021 im Gespräch mit dem Zeugen angedroht hat, sich krankschreiben zu lassen, wenn die Beklagte keine weitere Kurzarbeit anordnet.

aa.
§ 286 Abs. 1 ZPO verlangt die freie Überzeugung des Gerichts, eine Behauptung einer Partei sei wahr. Eine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit kann nicht verlangt werden (vgl. BGH, 14.04.1999, IV ZR 181/98, NJW-RR 1999, 1184, nach Juris, Rn. 10). Die Beweiswürdigung darf weder unvollständig noch widersprüchlich sein und nicht gegen Denk¬gesetze oder Erfahrungssätze verstoßen (vgl. BGH, 12. März 2004, IV ZR 257/03, NJW 2004, 1876, nach Juris, Rn. 9).

bb.
Das von der Beklagten behauptete Verhalten des Klägers, am 30.03.2021 erklärt zu haben, dass er weiter Kurzarbeit machen und nicht arbeiten wolle und für den Fall, dass der Geschäftsführer der Beklagten keiner weiteren Kurzarbeit zustimme, sich einen „gelben Schein holen“ werde, kann als Ankündigung einer nicht bestehenden Erkrankung und als Indiz für ein späteres Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit gewertet werden. Eine hinreichende Überzeugung (§ 286 ZPO) von dem behaupteten Sachverhalt ließ sich nach dem gesamten Inhalt der Verhandlung jedoch, auch durch die Vernehmung des Zeugen und die Anhörung des Klägers,  nicht begründen.

(1)
Die bereits vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme war insoweit zu wiederholen. Eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht ist nach der Formulierung des Gesetzes nur als Ausnahme („soweit nicht“) geboten. Dies entspricht der Absicht des Gesetz-gebers (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/4722, 100). Aus den Geset-zesmaterialien ergibt sich aber auch, dass die zur Entlastung des Berufungsgerichts vorgesehene – grundsätzliche – Bindung an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung auf solche Tat-sachen beschränkt sein soll, welche die erste Instanz „vollständig“ und „überzeugend“ getroffen hat (BT-Drucksache 14/4722, 61). Die Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz besteht auch nach der Reform des Zivilprozesses in der Gewinnung einer „fehlerfreien und überzeugenden“ und damit richtigen, d. h. der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung des Einzelfalles. Dementsprechend sollen ver-nünftige Zweifel genügen, um das Berufungsgericht zu neuen Tatsachenfeststellungen zu ver-pflichten (vgl. BGH, 09.03 2005, VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, nach Juris, Rn. 5 f.).
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen gebunden. Diese Bindung entfällt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Er kann sich aus gerichtsbekannten Tatsachen, aus dem Vortrag der Parteien oder aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben, aber auch aus Fehlern, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhaltes unterlaufen sind (vgl. BGH, 08.06 2004, VI ZR 230/03, NJW 2004, 2828, Rn. 16).

(2)
Im Streitfall war die Beweisaufnahme bereits deswegen zu wiederholen, weil die erstinstanzliche Durchführung Verfahrensfehler beinhaltet. Aus dem Protokoll der erstinstanzlichen Verhandlung ergibt sich nicht, dass die Parteien nach Durchführung der Beweisaufnahme über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt haben (§§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO).

Findet sich im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht infolge der Beweiskraft nach §§ 165,160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen die §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO und mithin ein Verfahrensfehler fest, der in der Regel das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. BGH, 23.05.2012, IV ZR 224/10, NJW 2012, 2354, Rn. 5). Nach den Feststellungen des Protokolls (Bl. 84R dA.) ist zwar die Sach- und Rechtslage nach Beendigung der Zeugenvernehmung „ausführlich besprochen“ worden. Es ist jedoch nicht festgehalten, dass mit den Parteien bereits über das Ergebnis der Beweisauf-nahme verhandelt wurde. Es liegt auch kein Verzicht der Parteien auf die Verhandlung über das Beweisergebnis vor. Das Protokoll beinhaltet vielmehr beiderseitige Anträge der Parteivertreter, schriftlich zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung nehmen zu können.

(3)
Die Vernehmung des Zeugen durch die Berufungskammer vermochte jedoch unter Berücksichtigung der persönlichen Anhörung des Klägers keine hinreichende Überzeugung iSd. § 286 ZPO für die Androhung einer Krankschreibung bei Ablehnung weiterer Kurzarbeit zu begründen. Dies geht zu Lasten der für die soziale Rechtfertigung der Kündigung beweisbelasteten Beklagten.

(a)
Bei der Würdigung einer Zeugenaussage geht es um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d.h. einem tatsächlichen Erleben der aussagenden Person entsprechen. Das methodische Grundprinzip besteht darin, den zu überprüfenden Sachverhalt so lange zu negieren (sogenannten Null-Hypothese), bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Die gedanklichen Arbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage bestehen aus Elementen der Aussageanalyse, der Persön-lichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. der Motivationsanalyse. Im Rahmen der Aussa-genanalyse sind aussageimmanente Qualitätsmerkmale zu bewerten, z.B. die logische Konsistenz der Aussage, ihr quantitativer Detailreichtum, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, deren Auftreten in einer Aussage als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben gilt (vgl. hierzu BGH, 30.07.1999, 1 StR 618/98, NJW 1999, 2746, nach Juris, Rn. 12, 21, zur Bewertung von Glaubhaftigkeitsgutachten).

(b)
Die Aussage des Zeugen war zunächst wenig detailreich und folgte im Wesentlichen dem Beweisthema. Dies spricht angesichts des Zeitablaufs seit dem streitigen Geschehen und der Tatsache, dass der Zeuge bereits durch die erstinstanzliche Beweisaufnahme auf den Inhalt der Befragung vorbereitet war, nicht ohne weiteres gegen ein tatsächliches Erleben des Zeugen. Der Zeuge wies auch eine Bereitschaft zur Mitarbeit in der Vernehmung auf und hat sich auf mehrfaches Nachfragen hinsichtlich der Kernaussage nicht in erhebliche Widersprüche verwickelt.

Der Zeuge war allerdings kaum in der Lage, Einzelheiten zum näheren Umfeld des Kerngeschehens am 30.03.2021 wiederzugeben. Dies gilt zum einen für die Fragen dazu, ob und in welchem Umfang zur der Zeit in Kurzarbeit gearbeitet wurde. Zu diesem Themenkomplex, der angesichts der geschilderten Forderung des Klägers nach dauerhafter Kurzarbeit in unmittel-barem Zusammenhang mit dem Beweisthema steht, konnte der Zeuge nur wenig Erinnerungen beisteuern, obwohl er als Abteilungsleiter in die Kommunikation der Kurzarbeit gegenüber den Arbeitnehmern eingebunden war. Zum anderen fehlte es insbesondere an detaillierten Angaben des Zeugen zum Inhalt des nachfolgenden Gesprächs mit dem Geschäftsführer der Beklagten. Der Zeuge hat weder zu seinen eigenen Mitteilungen über das Gespräch mit dem Kläger Einzelheiten geschildert, noch zur der unmittelbaren Reaktion des Geschäftsführers oder zur Dauer des Gesprächs konkrete Angaben machen können. Angesichts der vom Zeugen selbst empfundenen Tragweite der klägerischen Ankündigung, die von ihm als Betrug gewertet wurde, weckt dies Zweifel am Realitätsgehalt der Aussage. Insoweit kann auch die Widersprüchlichkeit des Verhaltens der Beklagten in die Beweiswürdigung einbezogen werden. Die Beklagte selbst hat den in der Arbeitszeitaufzeichnung für den 31.03.2021 (Bl. 65 dA.) erfolgten Eintrag „krank mit LFZ“ nicht korrigiert und auch in der Abrechnung vom 06.04.2021 (Bl. 162 dA.) acht Stunden Entgeltfortzahlung abgerechnet, obwohl sie nach ihrer eigenen Darstellung zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis von einer Krankheitsankündigung und vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit gehabt haben will.

Zudem ist ein gewisses Eigeninteresse des Zeugen nicht auszuschließen. Der Zeuge hat auf Nachfrage bestätigt, er halte es für sinnvoll, nicht mehr mit dem Kläger arbeiten zu müssen. Er war zudem in vorangegangene Auseinandersetzungen mit dem Kläger eingebunden, welche zumindest in zwei der erstinstanzlich streitgegenständlichen – aus der Personalakte zu entfernende – Abmahnungen eingeflossen sind.

(4)
Unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung nach § 141 Abs. 3 ZPO konnte das Gericht daher keine gesicherte Überzeugung von dem von der Beklagten behaupteten Gesprächsinhalt am 30.03.2021 gewinnen.

(a)
Im Fall der Beweisnot einer Partei kann eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO oder eine Anhörung der Partei nach § 141 ZPO aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit notwendig sein. Dieser Grundsatz, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes erfor-dern, dass einer Partei, die für ein Vieraugengespräch – anders als die Gegenpartei – keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in dem Prozess per-sönlich einzubringen (vgl. u.a. BAG, 18.11.2021, 2 AZR 229/21, NZA 2022, 200, Rn. 36). Das Gericht kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Be-hauptungen und Angaben einer Partei auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann, und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeu-gen geben (vgl. BGH, 27.09.2017, XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249, Rn. 12).

(b)
Bereits aufgrund der Auswirkungen des Prozessausgangs auf das Arbeitsverhältnis des Klä-gers ist zwar ein Eigeninteresse des Klägers an dem Ausgang der Beweisaufnahme gegeben. Dies allein genügt jedoch nicht, der Aussage keine Überzeugungskraft beizumessen.

Der Kläger hat seinerseits den Inhalt des Gesprächs mit dem Zeugen bei Schichtbeginn am 30.03.2021 abweichend geschildert und ausgesagt, er habe „ganz normal“ lediglich darüber gesprochen, wo er an diesem Tag eingesetzt werden sollte. Von „krank machen“ oder anderweitigen Bewerbungen sei nicht die Rede gewesen. Der Einwand des Klägers, das behauptete Verhalten sei bereits deswegen unwahrscheinlich, weil er zu dem Zeitpunkt bereits
drei Abmahnungen erhalten hatte, die von dem Zeugen ausgingen, ist angesichts der hiervon ausgehenden Gefahr weiterer arbeitsrechtlicher Konsequenzen glaubhaft. Gleiches gilt für die Schilderung der Umstände, die gegen eine beabsichtigte Bewerbung auf einen auswärtigen neuen Arbeitsplatz sprechen.

Detailliertere Angaben zum Inhalt des Gesprächs waren nicht zu erwarten, da es nach Darstellung des Klägers keinen außergewöhnlichen Inhalt hatte und nicht von den normalen Gesprächen zu Schichtbeginn abgewichen ist. Der Kläger hat – insoweit konsistent – hingegen die Umstände und Hintergründe des nachfolgenden Gespräches mit dem Geschäftsführer eingehender geschildert, welches aus seiner Sicht am 30.03.2021 die besondere Abweichung von den üblichen Arbeitsabläufen ausmachte.

Die Aussage des Klägers ist somit nicht in geringerem Maße glaubhaft als die vorangegangene Zeugenaussage. Sie steht unter Berücksichtigung der bereits ausgeführten Bedenken gegen den Realitätsgehalt der Aussage des Zeugen einer nach § 286 ZPO hinreichenden richterlichen Überzeugungsbildung von dem streitigen Gesprächsinhalt entgegen.

b.
Eine weitere Beweisaufnahme war nicht durchzuführen.

Für den streitgegenständlichen Gesprächsinhalt und das angedrohte „Krankmachen“ hat die Beklagte sich ausschließlich auf den Zeugen als Beweismittel berufen. Diesen Beweisantritt ist die Kammer nachgegangen.

aa.
Eine Vernehmung der Zeugin K. oder des Geschäftsführers der Beklagten als Partei – für welche im Übrigen keine Zustimmung des Klägers vorlag (§ 447 ZPO) – zu dem Gesprächsablauf zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer am Nachmittag des 30.03.2021 hatte nicht zu erfolgen. Aus dem behaupteten Gesprächsinhalt ließe sich kein Indiz für die vorangegan¬gene Androhung einer Erkrankung herleiten. Die Kammer hat sich hiervon auch keine weiteren Anhaltspunkte für die Beweiswürdigung versprochen. Selbst wenn der Kläger entsprechende Aussagen im Gespräch mit dem Geschäftsführer vorgenommen hätte, würde dies keine größere Glaubhaftigkeit der vom Zeugen bekundete Ankündigung einer Krankschreibung begründen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger seinerseits ausgesagt hat, mit dem Zeugen gar nicht über das Thema Kurzarbeit gesprochen zu haben.

bb.
Das Gericht hat von einer zusätzlichen Vernehmung des Klägers als Partei abgesehen. Die beweisbelastete Beklagte hat sich nicht auf die Vernehmung des Klägers berufen (§ 445 Abs. 1 ZPO).

Auch eine Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) konnte in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unterbleiben. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Ver-handlungsergebnisses bei einer non-liquet-Situation im Übrigen voraus (vgl. BAG, 2 AZR 229/21, a.a.O., Rn. 35). Dieser „Anbeweis“ kann sich zwar aus einer vorherigen Beweiserhebung ergeben. Im Streitfall stehen sich jedoch die Aussage des Zeugen und die Aussage des Klägers derart gleichwertig gegenüber, dass die Kammer dem von der Beklagten benannten Beweismittel keinen höheren Überzeugungswert und damit nicht die erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit beimessen konnte.

c.
Von einer Beeidigung des Zeugen wurde gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 ArbGG abgesehen.

Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 werden im Arbeitsgerichtsverfahren Zeugen nur beeidigt, wenn die Kammer dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses für die Entscheidung des Rechts-streits für notwendig erachtet. Eine Beeidigung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage (§ 391 ZPO) ist hingegen nicht zulässig. Die Voraussetzungen für eine Beeidigung lagen im Streitfall aus Sicht der Kammer nicht vor. Das Gericht war nicht bereits in so hohem Maße von der Richtigkeit der Aussage des Zeugen überzeugt, dass ihm die Beeidigung des Zeugen geeignet erschien, um noch vorhandene letzte Zweifel zu beseitigen.

3.
In Anbetracht des Beweisergebnisses liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein Vortäu-schen der Arbeitsunfähigkeit am 31.03.2021 als Kündigungsgrund vor.

Der Kläger hat sich an diesem Tag wegen „extremer Migräne“ krankgemeldet. Zwar liegt für diesen Tag keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, wozu der Kläger nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG auch nicht verpflichtet war. Die Beklagte hat jedoch keine Indiztatsache dafür bewie-sen, dass sich der Kläger in Kenntnis nicht bestehendener Arbeitsunfähigkeit krankgemeldet und die Beklagte damit vorsätzlich getäuscht hat. Dies geht im Kündigungsrechtsstreit zulasten der Beklagten, welche die Darlegungs- und Beweislast für die soziale Rechtfertigung der Kündigung trägt.

4.
Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.03.2021 ist ebenfalls nicht wegen einer gro-ben Beleidigung des Geschäftsführers durch den Kläger sozial gerechtfertigt. Hierbei kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger den Geschäftsführer als „Diktator“ betitelt hat.

a.
Der Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden. Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitge-bers an der Wahrung des Betriebsfriedens unter Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Vo-raussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation. Deshalb muss der Arbeitgeber un-sachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, nicht hinnehmen. Ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens bewirkt hat (BAG, 01.06.2017, 6 AZR 720/15, AP Nr. 264 zu § 626 BGB, Rn. 49).

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können – je nach den Umständen des Einzelfalles – einen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme darstellen. Zwar dürfen Arbeitnehmer auch unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch

überspitzt äußern. In grobem Maß unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position ei-nes Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (BAG, 05.12.2019, 2 AZR 240/19, AP Nr. 77 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung, Rn. 76 f.).

b.
Das von der Beklagten als Auslöser für den Kündigungsausspruch herangezogene Verhalten des Klägers am 31.03.2021 stellt – sein Vorliegen unterstellt – unter Berücksichtigung der Mei-nungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für sich genommen keine erhebliche Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne dar. Es handelt sich hierbei nicht um eine Schmähkri-tik, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entzogen ist.

aa.
Schmähkritik genießt nach der Rechnung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Dabei ist eine Schmähung eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BAG, 2 AZR 240/19, a. a. O., Rn. 87). Auch für eine bewusst falsche Tatsachenbehauptung kann sich ein Arbeitnehmer nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Dies gilt jedoch nicht für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten, und für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (vgl. BAG, 2 AZR 240/19, a.a.O., Rn. 93).

bb.
Die behauptete Äußerung wäre im Gesamtzusammenhang des Vorfalls nicht als Schmähkritik einzuordnen.
Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext- nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (vgl. BVerfG, 30.05.2018, 1 BvR 1149/17, NZA 2018, 924, Rn. 7). Im Streitfall wäre ein Sachbezug der Äußerung – ihr Vorliegen unterstellt – nach dem Vortrag der Beklagten bereits deswegen gegeben, weil sie im Zusammenhang mit einer Meinungsverschie-denheit über die weitere Anordnung von Kurzarbeit durch den Geschäftsführer der Beklagten gefallen sein soll. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers hätte daher in der im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmenden Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien im Einzelfall nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten.

cc.
Selbst wenn die Äußerung in Abwägung der beiderseitigen Interessen als Pflichtverletzung gewertet würde, wäre eine hierauf gestützte Kündigung ohne vorangegangene einschlägige Ab-mahnung unverhältnismäßig.

(1)
Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Eine Kündigung ist durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn eine dauerhafte störungsfreie Ver-tragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störun-gen nur durch die Beendigung des Arbeitsergebnisses begegnet werden. Das ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – etwa eine Abmahnung oder eine Versetzung geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein künftiges Verhalten bereits durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG, 23.1.2014, 2 AZR 638/13, NJW 2014, 2520, Rn. 16).

(2)
Eine einschlägige Abmahnung ist von der Beklagten nicht dargelegt worden. Die drei zur Akte gelangten Abmahnungsschreiben genügen den Anforderungen an eine wirksame Abmahnung bereits deswegen nicht, weil sie – nach den rechtskräftig gewordenen Feststellungen des Arbeitsgerichts – die gerügte Pflichtverletzung nicht hinreichend deutlich gemacht haben.

Wirksamkeitsvoraussetzung einer Abmahnung ist ihre inhaltliche Bestimmtheit. Der Arbeitgeber muss das beanstandete Verhalten genau bezeichnen, da die Warnfunktion ansonsten leerliefe (Zimmermann in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, § 1 KSchG, Rn. 247).

Die von der Beklagten behauptete Äußerung ist auch nicht so schwerwiegend, dass ihre erstmalige Hinnahme offensichtlich unzumutbar war.

c.
Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass es in dem Gespräch darüber hinaus zu weiteren Äußerungen mit beleidigendem Charakter gekommen ist. Die pauschale Behauptung, es sei zu „massiven Vorwürfen und Beleidigungen“ gekommen, genügt hierfür nicht.

5.
Weiterhin fehlt es an schlüssigem Sachvortrag zu einer beharrlichen Arbeitsverweigerung des Klägers als Grund für die soziale Rechtfertigung der Kündigung. Zum einen hat der Kläger am 30.03.2021 nach Aufforderung durch den Geschäftsführer seine Arbeit wieder aufgenommen. Zum anderen mangelt es auch insoweit an einer einschlägigen Abmahnung, Eine hierauf gestützte Kündigung wäre daher unverhältnismäßig. Gleiches gilt bei Annahme eines unentschuldigten Fehlens am 31.03.2021.

II.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch durch die Kündigung der Beklagten vom 08.04.2021 nicht nach Umdeutung in eine ordentliche Kündigung beendet worden. Es fehlt an der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

1.
Ein gegen eine außerordentliche Kündigung gerichteter Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 Satz 1 KSchG umfasst regelmäßig automatisch auch das Begehren festzustellen, das Arbeits-verhältnis ende nicht aufgrund einer gegebenenfalls nach § 140 BGB kraft Gesetzes eintretenden Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche. Für eine anderweitige Annahme bedürfte es besonderer Anhaltspunkte (vgl. BAG 27.06.2019, 2 AZR 28/19, NZA 2019, 1343, Rn. 21), die im Streitfall nicht vorliegen. Der Kläger hat in der Berufungsverhand-lung zudem klarstellend erklärt, dass er sich auch gegen eine etwaige ordentliche Kündigung vom 08.04.2021 wenden möchte.

2.
Die Kündigung vom 08.04.2021 ist – was rechtskräftig durch das Arbeitsgericht festgestellt wurde – als außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam. Allerdings kann eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn das dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist (vgl. BAG, 25.10.2012, 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371, Rn. 21).

Die Voraussetzungen für eine Umdeutung liegen im Streitfall vor. Im Zusammenhang mit der vorangegangenen Kündigung vom 31.03.2021 ließ sich der unbedingte Beendigungswille der Beklagten unzweifelhaft erkennen.

3.
Die Kündigung der Beklagten vom 08.04.2021 ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
Im Streitfall hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der Kläger in derart schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) verstoßen hat, dass unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.

a.
Soweit sich die Beklagte zur Begründung der Kündigung auf eine „Arbeitsbummelei“ des Klägers nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 31.03.2021 beruft, fehlt es bereits an der erforderlichen Substanz des Tatsachenvortrags. Die Beklagte hat nicht im Einzelnen dargelegt, dass und in welchem Umfang der Kläger Pausenzeiten überzogen oder Arbeitsleistun-gen nicht in angemessener Zeit erbracht hat.

b.
Die behauptete Schlechtleistung durch das fehlerhafte Einlegen eines Bogens in die Falzma-schine und mangelhafte Überwachung des Falzvorganges genügt – ihr Vorliegen unterstellt – ebenfalls nicht, um die soziale Rechtfertigung der Kündigung zu begründen.

aa.
Zwar können qualitativ schlechte Leistungen vom Arbeitgeber als Verletzung der Leistungspflicht zur Begründung einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich herangezogen werden. Im Streitfall kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger am 08.04.2021 die Falzmaschine fehlerhaft bedient hat. Der Ausspruch einer ordentlichen Kündi-gung ist jedoch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gerechtfertigt.

bb.
Es fehlt auch insoweit an der für eine verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig erforderlichen einschlägigen Abmahnung. Eine Abmahnung war nicht bereits deswegen entbehrlich, weil eine schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt, deren Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war.
Eine derartige Pflichtverletzung könnte in einer vorsätzlichen Schädigungshandlung liegen. Die Beklagte hat jedoch nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass der Kläger bei der Bedienung der Falzmaschine vorsätzlich fehlerhaft gehandelt und damit einen Schaden herbeigeführt hat. Selbst wenn der Kläger – wie die Beklagte behauptet – weder seiner Prüfpflicht bei der Einlegung der Falzbögen noch seiner Überwachungspflicht während des Falzvorganges nachgekommen sein sollte, ließe sich hiermit ohne weitere Anhaltpunkte allenfalls eine fahrlässige Pflichtverletzung begründen. Der diesbezüglichen Feststellung des Arbeitsgerichts ist die Beklagte in der Berufungsinstanz auch nicht mehr entgegengetreten.

Der nach Darlegung der Beklagten verursachte Schaden von ca. 1.000,00 € ist für sich genommen ebenfalls nicht so erheblich, dass selbst eine erstmalige Hinnahme durch die Arbeitgeberin erkennbar nicht zu erwarten wäre.

c.
Auch die von der Beklagten behauptete Äußerung des Klägers gegenüber dem Zeugen am 08.04.2021, dass dieser „wohl schwul sein müssen, nein, ganz bestimmt schwul sein, sonst würde er sich nicht so verhalten, sondern wie ein Mann“ vermag die Kündigung nicht sozial zu rechtfertigen, selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, dass die Äußerung gefallen ist.

aa.
Zwar können, wie bereits ausgeführt wurde, grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen – je nach den Umständen des Einzelfalles – einen Verstoß gegen die Rückpflicht zur Rücksichtnahme darstellen.

bb.
Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob das von der Beklagten als Auslöser für den Kündigungs-ausspruch herangezogene Verhalten des Klägers am 08.04.2021 – sein Vorliegen unterstellt – unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für sich genommen eine erhebliche Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne darstellt. Es handelt sich um eine Äußerung mit Bezug auf eine sachliche Auseinandersetzung über den Inhalt einer Arbeitanweisung. Im Streitfall ist ein Sachbezug der Äußerung nach dem Vortrag der Beklagten bereits deswegen gegeben, weil hierin selbst auf ein vorangegangenes Verhalten des Zeugen S. („sonst würde er sich nicht so verhalten“) Bezug genommen wäre. Darüber hinaus hat die Beklagte dargelegt, dass dem Vorfall eine Auseinandersetzung über eine Anweisung des Zeugen, nicht mehr an der Papierschneidemaschine, sondern an der Falzmaschine zu arbeiten, zugrunde gelegen habe, über welche der Kläger stark aufgebracht gewesen sei. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers wäre daher nach § 241 Abs. 2 BGB in eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien einzubeziehen.
cc.
Selbst wenn die Grenze zwischen Meinungsäußerung und Schmähkritik überschritten wäre, fehlt es auch insoweit an einer einschlägigen Abmahnung vergleichbarer Pflichtverletzungen. Anhaltspunkte dafür, dass eine solche im vorliegenden Einzelfall entbehrlich war, sind nicht vorgetragen.
Gleiches gilt auch dann, wenn der behauptete Ausruf gegenüber dem Geschäftsführer am 30.03.2021 – sein Vorliegen unterstellt – in eine Gesamtabwägung mit einbezogen wird. Beide Äußerungen stehen aufgrund ihres Sachbezugs an der Grenze zwischen Meinungsäußerung und Schmähkritik. In Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, den Kläger zunächst abzumahnen und auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses hinzuweisen. Hierfür genügt nicht bereits der Ausspruch der Kündigung vom 31.03.2021. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass dem Kläger die herangezogenen Kündigungsgründe mitgeteilt wurden.
3.
Die von der Beklagten behauptete Äußerung des Klägers beim Verlassen des Betriebes am 08.04.2021 kann zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigungen nicht herangezogen werden, da beide Kündigungen zu diesem Zeitpunkt bereits ausgesprochen waren (vgl. BAG, 10.06.2010, 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1233, Rn. 52)

C.
Die Anschlussberufung der Beklagten ist teilweise begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 3.312,00 € brutto nebst Zinsen seit 01.04.2021 für März 2021 richtet.

I.
Über die Anschlussberufung der Beklagten konnte durch kontradiktatorisches Urteil entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in der Berufungsverhandlung keinen ausdrücklichen Antrag auf Zurückweisung der Anschlussberufung gestellt hat.

1.
Das Erfordernis der Antragstellung kann entfallen, wenn sich das Verhalten einer Partei als derartige Teilnahme am Prozessgeschehen darstellt, dass sie auf eine bestimmte Entscheidung des Gerichts in der Sache gerichtet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der Antragstellung der anderen Partei deren Prozessziel eindeutig klar ist und die Gegenseite durch ihr Auftreten im Verhandlungstermin und ihre bisherige Beteiligung am Rechtsstreit auch ohne Antragstellung unzweifelhaft klargestellt hat, dass sie sich gegen die beantragte Verurteilung zur Wehr setzen will. Von daher genügt es, wenn sich der Wille zur Abwehr des Antrags des Gegners aus dem Vorbringen ergibt, ohne dass eine nach den Ordnungsvorschriften der §§ 137,297 ZPO an sich gebotene Antragstellung erfolgt ist (vgl. BAG, 23.01.2007, 9 AZR 492/06, NZA 2007, 1450, Rn. 27 ff).

2.
Im Streitfall hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Schriftsatz vom 30.05.2022 erklärt, er beantrage die (Anschluss-) Berufung der Beklagten zurückzuweisen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat er das eindeutige Ziel verfolgt, die Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Verurteilung gegen den Berufungsangriff der Beklagten zu verteidigen.

II.
Dem Kläger steht für März 2021 lediglich der von der Beklagten abgerechnete Bruttobetrag von 1.916,57 € nebst Verzugszinsen nach monatlicher Fälligkeit (§§ 286 Abs. Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB) zu. Die Berechnung der Beklagten hat sich der Kläger zuletzt hilfsweise zu eigen gemacht. Darüber hinaus ist die Zahlungsklage für März 2021 unbegründet.
1.
Der Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, dass ihm für März 2021 ein Zahlungsanspruch für geleistete Arbeit im Umfang von 184 Stunden zusteht. Insoweit fehlt es an konkretem Tatsa-chenvortrag des Klägers zum Umfang der geleisteten Arbeit. Aus dem von der Beklagten vorgelegten Arbeitszeitkonto (Blatt 65 der Akte) folgt vielmehr, dass sich der Kläger vom 1. bis 26.03.2021 in Kurzarbeit „Null“ befand, am 29. und 30.03.2021 je 8 Stunden Arbeitsleistung erbracht hat und am 31.03.2021 „krank mit LFZ“ vorlag. Entsprechend hat die Beklagte unter dem 06.04.2021 eine Vergütungsabrechnung vorgenommen, deren rechnerischer Richtigkeit der Kläger nicht entgegengetreten ist.
2.
Weiterhin hat der Kläger nicht hinreichend begründet, dass für die durch Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden im Monat März 2021 Annahmeverzugslohn anstelle des abgerechneten Kurzarbeitergeldes zu zahlen ist (§§ 615, 293 ff BGB).
a.
Die Beklagte hat eine wirksame Vereinbarung von Kurzarbeit „Null“ mit dem Kläger zwar nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere genügt die vom Kläger unterzeichnete Erklärung vom 17.03.2021 (Bl. 268 f. dA.) bereits deswegen nicht, weil hierin lediglich die Einführung einer um 50 % verkürzten Arbeitszeit vorgesehen ist, ohne zudem im Übrigen die Voraussetzungen für die konkrete Anordnung der Kurzarbeit im Einzelfall zu regeln.
Der Arbeitgeber kommt auch gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Ar-beitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung jedoch zusätzlich tatsächlich anbieten (§ 294 BGB). Ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) reicht aus, wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen (vgl. BAG, 18.11.2015, 5 AZR 491/14, NZA 2016, 565, Rn. 19). Eine derartige Ablehnungserklärung liegt mit der Anordnung von Kurzarbeit vor. Für den Annahmeverzug des Arbeitgebers genügt des-halb regelmäßig ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers nach § 295 BGB (vgl. BAG 20.20.2006, 2 AZR 811/04, AP Nr. 85 zu § 75 BPersVG, OS 5; siehe auch BAG, 5 AZR 491/14, a.a.O., Rn. 19 f).
b.
Der Sachvortrag des Klägers zu einem hinreichenden, zumindest wörtlichen Arbeitsangebot im März 2021 entbehrt jedoch der erforderlichen Substanz.
Die Behauptung des Klägers, er sei mit Kurzarbeit nicht einverstanden gewesen und habe hier-gegen protestiert, genügt insoweit nicht. Soweit der Kläger darüber hinaus vorträgt, er sei mehrfach im Betrieb erschienen, um zu fragen, warum er nicht eingesetzt werde, nachdem er in der zweiten Märzwoche erfahren habe, dass seine Tätigkeit von Hilfskräften ausgeführt werde, lässt sich hieraus nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, wann und gegenüber wem der

Kläger erklärt hat, arbeiten zu wollen. Eine Konkretisierung ist bereits deswegen nicht entbehrlich, weil ohne diese nicht festgestellt werden kann, ab wann Annahmeverzug eingetreten ist. Auch die pauschale Behauptung des Klägers, die Beklagte, insbesondere in Person des Zeugen S. , habe ihm wiederholt erklärt, dass er nicht arbeiten dürfe und zu Hause bleiben müsse, enthält nicht die notwendige zeitliche Bestimmbarkeit.
3.
Die Anschlussberufung der Beklagten ist jedoch insoweit unbegründet, als sie hiermit lediglich eine Verurteilung zur Zahlung der abgerechneten Nettovergütung für März 2021 erreichen möchte.
Die Beklagte hat auch auf einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis hin die Abführung der Bruttovergütungsbestandteile aus der Abrechnung für März 2021 als Erfüllungshandlung weder dargelegt noch unter Beweis gestellt.

D.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist zudem gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO teilweise für gegenstandslos zu erklären, soweit es die ausgeurteilten Vergütungsansprüche für Mai 2021 betrifft.

Das Arbeitsgericht hat übersehen, dass der Kläger in seiner Antragstellung übergegangenes Arbeitslosengeld angerechnet und insoweit nur einen entsprechend reduzierten Zahlungsantrag gestellt hat. Die vollständige Verurteilung zur Zahlung der Bruttovergütung für Mai 2021 in Höhe von 3.168,00 € brutto nebst Zinsen verstößt somit gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dies hat das Berufungsgericht auch ohne eine hierauf gestützte Rüge der Parteien von Amts wegen zu berücksichtigen und die Entscheidung insoweit für gegenstandslos zu erklären (vgl. BAG, 01.12.2020, 9 AZR 102/20, NZA 2021,552, Rn. 68, 70).

Nach seinem insoweit unbestrittenen Vorbringen hat der Kläger am 18.05.2021 eine Zahlung von 1.568,08 € netto und am 31.05.2021 eine Zahlung von 766,20 € netto erhalten, welche er von seinem Zahlungsanspruch in Höhe von 3.168,00 € brutto in Abzug gebracht hat, ohne allerdings erstinstanzlich den Zahlungszeitpunkt konkret anzugeben. Das erstinstanzliche Urteil war daher hinsichtlich der Zahlungsansprüche für Mai 2021 in Höhe von 2.334,28 € netto nebst Verzugszinsen für gegenstandslos zu erklären.

E.
Auch das weitere Vorbringen der Parteien, auf das in diesem Urteil nicht mehr besonders ein-gegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt hinsichtlich der durch Teilurteil entschiedenen Streitgegenstände nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

F.
Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.

Rechtsmittelbelehrung
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.

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Björn Steveker

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Fachanwalt für Arbeitsrecht
Axel Knieps

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