Arbeitsgericht Nienburg
Im Namen des Volkes
Urteil
1 Ca 165/22
In dem Rechtsstreit
J.
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Witte & Steveker, Stettiner Str. 12 – 14, 27232 Sulingen
gegen
L. GmbH & Co. KG, vertr. d. d.
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte:
X Verband
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Nienburg auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2023 durch die Richterin K sowie die ehrenamtliche Richterin Frau T und die ehrenamtliche Richterin Frau A als Beisitzer für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.707,18 Euro netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2022 zu zahlen.
- Die Widerklage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Der Streitwert wird auf 1.707,18 Euro festgesetzt.
- Die Berufung wird nicht besonders zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Rückzahlungsansprüche der Beklagten und Widerklägerin (im Folgenden lediglich als Beklagte bezeichnet) gegen den Kläger und Widerbeklagten (im Folgenden lediglich als Kläger bezeichnet) hinsichtlich einer im Monat November 2022 geleisteten Sonderzahlung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung des Klägers zum Ablauf des 31.03.2022 sowie eine insoweit erfolgte Aufrechnung der Beklagten gegen Gehaltsansprüche des Klägers aus dem Monat März 2022.
Der Kläger war vom 01.12.2019 bis einschließlich 31.03.2022 bei der Beklagten als Sachbearbeiter in der Finanzbuchhaltung beschäftigt.
§ 2 I. b) des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages lautet wörtlich:
„b) Die Firma behält sich ausdrücklich vor zu entscheiden, ob in welcher Höhe im jeweiligen Kalenderjahr Sonderzuwendungen an den Arbeitnehmer gezahlt werden. Freiwillige Zuwendungen werden bei Eintritt während des Kalenderjahres, für welches die Zuwendung gewährt wird, nur anteilig gewährt.
Stichtagsregelung:
Voraussetzung für eine Zahlung ist, dass Sie sich am 01.11. des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden und auch die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nicht vereinbart ist.
Rückzahlungsvereinbarung:
Ferner ist die Sonderzahlung zurückzugewähren, wenn Sie auf eigenen Wunsch oder durch Kündigung bis zum 01.04. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres oder, sofern die Gratifikation ein Monatsgehalt übersteigt, bis zum 30.06. des folgenden Kalenderjahres ausscheiden, es sei denn, Sie scheiden auf Grund arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung aus. Die Vereinbarung gilt entsprechend, wenn das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet wird und Anlass hierfür ein Verhalten Ihrerseits ist, das uns ein Recht zur Kündigung gegeben hätte. Erhalten Sie lediglich einen Betrag bis einschließlich 100 €, so sind Sie jedoch nicht zur Rückzahlung verpflichtet.
Kürzungsmöglichkeiten:
Auch wenn der Belegschaft in einem Kalenderjahr grundsätzlich die Jahressonderleistung – unter Wahrung der soeben genannten Voraussetzungen – gewährt wird, gilt folgendes: Ruht das Arbeitsverhältnis während des Bezugszeitraums durch Gesetz oder Vereinbarung oder aus sonstigem Grund, wird die Jahressonderleistung gekürzt. Pro Fehltag kann die Jahressonderzuwendung um 1/60 gekürzt werden. Bei krankheitsbedingten Fehlzeiten innerhalb eines Kalenderjahres wird die Leistung für jeden Fehltag um 20 % eines Tagesarbeitsentgelts gekürzt.“
Im Monat November 2021 leistete die Beklagte an den Kläger eine Zahlung in Höhe von 2.140,00 Euro brutto. Auf der Gehaltsabrechnung für den Monat November 2021 wurde diese mit der Bezeichnung „Sonderzahlung“ ausgewiesen.
Mit Schreiben vom 16.02.2022 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ordentlich zum Ablauf des 31.03.2022.
Für den Monat März rechnete die Beklagte das Bruttogehalt des Klägers in Höhe von insgesamt 2.240,00 Euro ab, woraus sich ein Nettobetrag in Höhe von 1.784,72 Euro ergab. Von diesem Nettobetrag zog die Beklagte 1.707,18 Euro unter der Bezeichnung „Korrekturauszahlung“ ab und zahlte dem Kläger lediglich den verbleibenden Differenzbetrag in Höhe von 77,54 Euro netto aus. Im Verfahren erklärte die Beklagte hierzu, in Höhe dieses Betrages gegen die Gehaltsansprüche des Klägers mit einem ihr nach § 2 des Arbeitsvertrages gegen den Kläger zustehenden Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Sonderzahlung von November 2021 aufgerechnet zu haben.
Der Kläger ist der Ansicht, die Aufrechnung sei unwirksam. Zu zum einen, weil sie gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB verstoße, soweit sie den Anteil des Nettogehalts betroffen habe, der den Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO unterliege. Zum anderen bestehe bereits kein Gegenanspruch der Beklagten, da die arbeitsvertragliche „Rückzahlungsvereinbarung“ aus mehreren Gründen unwirksam sei, insbesondere einer AGB-Kontrolle nicht stand halte.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.707,18 Euro netto nebst Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2022 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 1.415,57 € zu zahlen.
Hilfsweise:
Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 1.707,18 € zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Sonderzahlung sei nach der arbeitsvertraglichen Rückzahlungsvereinbarung zurückzuzahlen, weil deren Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Denn die Sonderzahlung habe die Höhe eines Bruttomonatsgehalts des Klägers nicht überschritten und dieser sein Arbeitsverhältnis selbst zum 31.03.2022 gekündigt.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
I.
Die zulässige, insbesondere streitgegenständlich hinreichend i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmte, Klage ist begründet.
1.
Der Kläger hatte ausweislich der Abrechnung für den Monat März 2022 Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe von 2.240,00 Euro brutto und sich aus diesem Betrag ergebender 1.784,72 Euro netto. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
2.
Dieser Anspruch ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 1.707,18 Euro netto erloschen.
a)
Die Aufrechnung der Beklagten gegen den unstreitigen Vergütungsanspruch des Klägers war nicht nur aufgrund der zu wahrenden Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO gemäß § 394 BGB in der die Pfändungsfreigrenze überschreitenden Höhe, sondern vollumfänglich unzulässig, da die Beklagte den behaupteten Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung der Sonderzahlung aus November 2021 in Höhe von 1.707,18 Euro netto nicht hat.
b)
Ein solcher Anspruch der Beklagten ergibt sich nicht aus der Rückzahlungsklausel in § 2 Abs. 3 unter der Überschrift „Rückzahlungsvereinbarung“ des klägerischen Arbeitsvertrages, da diese wegen unangemessener Benachteiligung gemäß § 307 BGB unwirksam ist.
aa)
Bei dem klägerischen Arbeitsvertrag handelt es sich nach dem äußeren Erscheinungsbild um vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsklauseln, auf die die §§ 305 ff. BGB anzuwenden sind. Dies ist zwischen den Parteien auch nicht streitig.
bb)
Die Unwirksamkeit der Klausel ergibt sich vorrangig aus der unangemessenen Benachteiligung des Klägers, welche aus der ungerechtfertigten Einschränkung seiner grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit sowie dem Widerspruch zu dem Grundgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, nach dem der Arbeitgeber zur Zahlung der vereinbarten und erarbeiteten Vergütung verpflichtet ist, resultiert.
(1)
Mit Jahressonderzahlungen, die i.d.R. mit der Vergütung für November oder Dezember gewährt werden, kann der Arbeitgeber verschiedene Zwecke verfolgen (BAG, Urteil v. 28.03.2007 – 10 AZR 261/06, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 265, m.w.N.). Die Sonderzahlung kann z.B. ausschließlich der zusätzlichen Honorierung von im Bezugszeitraum erbrachter Arbeitsleistung dienen. Hat sie nur diesen Zweck, entsteht der Anspruch auf sie bereits im Laufe des Bezugszeitraums entsprechend der zurückgelegten Zeitdauer und Arbeitsleistung und wird lediglich zu einem anderen Zeitpunkt insgesamt fällig. Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis während des Bezugszeitraums einen Anspruch auf die anteilige Sonderzahlung entsprechend dem Wert der von ihm erbrachten Teilleistung und einen Anspruch auf die Sonderzahlung in voller Höhe, wenn das Arbeitsverhältnis nicht vor Ablauf des Bezugszeitraums endet (vgl. BAG, Urteil v. 28.03.2007 – 10 AZR 261/06, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 265, m.w.N.).
Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben; dabei ist ein Merkmal derartiger Zahlungen, dass sie nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses – z.B. durch sogenannte Stichtagsklauseln – abhängen (vgl. BAG, Urteil v. 13.05.2015 – 10 AZR 266/14, NZA 2015, 992).
Die Sonderleistung kann aber auch vergangenheits‑ und zukunftsbezogene Elemente miteinander verknüpfen und sowohl die Belohnung bisheriger Dienste und erwiesener Betriebstreue bezwecken, als auch als Anreiz für künftige Betriebstreue dienen (BAG, Urteil v. 07.12.1989 – 6 AZR 324/88, AP TVG 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 14; v. 18.03.1981 – 5 AZR 952/78, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 107). Sobald mit der Zahlung jedoch auch eine Arbeitsleistung des Mitarbeiters vergütet werden soll, handelt es sich um eine Sonderzahlung mit Mischcharakter, die nach der Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf Stichtags- oder Rückzahlungsklauseln denselben strengen Anforderungen unterliegt, wie rein arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen. Soll eine solche Sondervergütung im Falle einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vollständig entfallen, benachteiligt dies den Arbeitnehmer unangemessen und führt zu einer Unwirksamkeit der entsprechenden arbeitsvertraglichen Klausel (vgl. ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, BGB § 611a Rn. 499). Entsprechende Klauseln stehen im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611a, indem sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entziehen. Nach richtiger Auffassung des BAG verkürzen sie außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschweren. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit ggf. vorenthalten zu können, ist nicht ersichtlich (BAG, Urteil v. 12.04.2011 − 1 AZR 412/09, NZA 2011, 989; v. 18.01.2012 − 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561; v. 13.11.2013 − 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368). Eine (auch) durch Arbeitsleistung erdiente Sonderzahlung kann mithin nicht an Bindungs- oder Stichtagsklauseln im laufenden Kalenderjahr sowie erst recht nicht im Folgejahr gekoppelt werden (BAG, Urteil v. 13.11.2013 − 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368; Preis/Lukes Anm. zu AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 303).
(2)
Bei der gebotenen Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei der in § 2 I. b) des Arbeitsvertrages geregelten Sonderzahlung mindestens um eine Zahlung mit Mischcharakter. Denn der von der Beklagten mit der Sonderzahlung verfolgte Zweck ist nicht lediglich die Honorierung der Betriebstreue ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch als Vergütung der im Anspruchsjahr erbrachten Arbeitsleistung. Dies ergibt sich aus dem weiteren Inhalt der Klausel zur Sonderzahlung.
Im ersten Absatz des § 2 I. b) ist vorgesehen, dass bei Eintritt während des Kalenderjahres, für welches die Zuwendung gewährt wird, diese nur anteilig gewährt wird. Erfolgt bei unterjährigem Beginn oder Ende des Arbeitsverhältnisses eine anteilige Berechnung der Sonderzahlung, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Sonderzahlung Arbeitsleistung vergüten soll (vgl. BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14, NZA 2016, 1160). Dies ist vorliegend der Fall.
Zudem sind im letzten Absatz des § 2 I. b) Kürzungsmöglichkeiten der Beklagten hinsichtlich der Sonderzahlung vorgesehen. Danach kann die Jahressonderzuwendung um 1/160 pro Fehltag gekürzt werden, wenn das Arbeitsverhältnis ruht sowie um 20% eines Tagesarbeitsentgelts pro krankheitsbedingtem Fehltag. Diese Regelung steht in keinerlei Zusammenhang zur Betriebstreue der Beschäftigten. Eine deutlichere Anknüpfung der Sonderzuwendung an die Erbringung von Arbeitsleistung ist kaum möglich, zumal dies vorliegend ungeachtet des Bestehens einer Entgelt-(fort-)zahlungspflicht der Beklagten – mithin unabhängig von der unmittelbaren Betroffenheit der Hauptleistungspflichten der Beklagten als Arbeitgeberin – vorgesehen ist. Entgegen den Ausführungen der Beklagten konnte dieser Klauselteil bei der Ermittlung des Zwecks der Sonderzahlung auch nicht außer Acht gelassen werden, nur weil im vorliegenden Fall keine Kürzung vorgenommen wurde. Mit der arbeitsvertraglichen Klausel hält sich die Beklagte diese Möglichkeit für jede potentielle Sonderzahlung offen. Sie hat für das Jahr 2021 hiervon auch weder ausdrücklich, noch konkludent Abstand genommen, indem sie bspw. für das Jahr 2021 eine Sonderzahlung ohne jegliche Kürzungsmöglichkeiten zugesagt hätte.
(3)
Die Beklagte kann sich somit nicht – wie hier versucht – jeweils die für sie bestmögliche Konstellation aussuchen, um den in Aussicht gestellten Anspruch auf die jährliche Sonderzahlung sowohl im laufenden Anspruchszeitraum als auch in der Folgezeit im Falle ihr unliebsamer Entwicklungen für das Arbeitsverhältnis so weit wie möglich zu einzuschränken.
cc)
Darüber hinaus ist die Klausel auch dann unwirksam, wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass mit der Sonderzahlung allein die Betriebstreue des Arbeitnehmers honoriert werden sollte, weil die in dieser Klausel geregelte Rückzahlungsverpflichtung den Kläger auch dann treffen soll, wenn er das Arbeitsverhältnis aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund vor Ablauf der Bindungsfrist beendet.
(1)
Eine durch Rückzahlungsvereinbarung bewirkte Bindung an das Arbeitsverhältnis benachteiligt einen Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und ist nach § 307 I 1 BGB unwirksam, wenn sie Rückzahlung in jedem Fall einer vom Arbeitnehmer ausgesprochenen Kündigung vorsieht, ohne solche Kündigungen des Arbeitnehmers auszunehmen, die aus Gründen erfolgen, die der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen sind (so zur Rückzahlung von Ausbildungskosten BAG, Urteil v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09, NZA 2012, 738 Rn. 23 m.w.N.).
Nach der im Rahmen von § 307 BGB anzustellenden Interessenabwägung ist auch der die Rückzahlungspflicht auslösende Tatbestand zu berücksichtigen. Es ist nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, das innerhalb der mit der Klausel vorgesehenen Bindungsfrist stattfindet. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden (so zur Rückzahlung von Ausbildungskosten BAG, Urteil v. 11.04.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042). Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen. Kündigungen des Arbeitnehmers, die der Verantwortungssphäre des Arbeitgebers zuzurechnen sind, sind im Arbeitsleben nicht derart fernliegend, als dass sie in einer Rückzahlungsklausel nicht in hinreichend klarer Formulierung gesondert ausgenommen sein müssten (BAG Urteil v. 13.12.2011 – a.a.o.). Gleiches gilt für Kündigung aus Gründen, die weder im Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers, noch des Arbeitgebers liegen (z.B. Erkrankungen). Vielmehr würde ein Festhalten an einem der Gesundheit abträglichen Arbeitsverhältnis bis zur Erfüllung einer bestimmten Bindungsdauer zu potentiell selbstschädigendem Verhalten der Arbeitnehmer führen können, welches im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung durch kein gegenläufiges, ebenso schützenswertes Interesse des Arbeitgebers gedeckt ist.
(2)
Ausgehend von diesen, auch auf den Fall der Leistung einer jährlichen Sonderzuwendung übertragbaren, Grundsätzen verstößt die Rückzahlungsvereinbarung in § 2 I. b) des Arbeitsvertrages gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Denn sie regelt keine Ausnahme von der Rückzahlungsverpflichtung für Fälle einer Eigenkündigung, die durch Gründe in der Sphäre des Arbeitgebers bedingt oder aber keiner konkreten Verantwortungssphäre zuzuordnen sind. Der Wortlaut der streitgegenständlichen Rückzahlungsvereinbarung bezieht sich eindeutig auf jeden Fall einer vorzeitigen Kündigung, die keine „arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung“ darstellt. Weitere Ausnahmen sind weder im Wortlaut der Vereinbarung enthalten, noch anderweitig impliziert. Damit enthält die Rückzahlungsklausel trotz der Berücksichtigung unterschiedlicher Zuwendungshöhen hinsichtlich der Bindungsdauer keine ausgewogene Gesamtregelung und benachteiligt den Kläger als Vertragspartner unangemessen. Denn genauso, wie er auf eine arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung keinen Einfluss hat, liegt auch bei einer, aus anderen Verantwortungssphären als der eigenen resultierenden Gründen für eine Eigenkündigung ein Umstand vor, den der betroffene Arbeitnehmer nicht selbst in der Hand hat und der damit als Grundlage für eine Rückzahlungsverpflichtung nicht durch ein gleichwertiges schützenswertes Interesse des Arbeitgebers an der entsprechenden Rückzahlung gedeckt ist.
(3)
Für die konkrete Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel ist es im Übrigen unerheblich, aus welchen konkreten Gründen der Kläger seine Eigenkündigung erklärt hat. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§§ 305 Abs. 1 S. 1, 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Fall (BAG, Urteil v. 01.03.2022 – 9 AZR 260/21, NZA 2022, 786 Rn. 29). Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sind auch solche Klauseln unterworfen, die in ihrem Übermaßanteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert hat (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteil v. 11.12.2018 – 9 AZR 383/18, NZA 2019, 781).
c)
Andere Anspruchsgrundlagen sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
3.
Die Zinsenentscheidung ergibt sich aus §§ 286, 288, 247 BGB. Die Vergütung für den Monat März 2022 war ausweislich § 2 II. des Arbeitsvertrages zum Monatsende fällig, mithin zum 31.03.2022, sodass die Beklagte sich seit dem 01.04.2022 mit der Zahlung in Höhe von 1.707, 18 Euro netto in Verzug befindet.
II.
Die hilfsweise für den Fall der für – teilweise – unzulässig erachteten Aufrechnung der Beklagten gestellten, Widerklageanträge sind unbegründet.
1.
Die Widerklageanträge wurden für den Fall gestellt, dass das Gericht die Aufrechnung der Beklagten für teilweise bzw. vollumfänglich unzulässig erachtet. Hierbei handelt es sich um zulässige innerprozessuale Bedingungen (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 253 Rn. 19).
Da die Kammer die Aufrechnung für insgesamt unzulässig erachtet hat, ist die innerprozessuale Bedingung des Antrags zu 3.) der Beklagten (zweiter Widerklageantrag) eingetreten und dieser zur Entscheidung angefallen.
2.
Der zulässige zweite Widerklageantrag ist unbegründet, da aus den bereits ausgeführten Gründen die Beklagte gegen den Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung der Sonderzahlung aus November 2021 hat.
III.
1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Danach hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2.
Der Streitwert war gem. § 61 Abs. 1, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO festzusetzen. Er beträgt 1.707,18 Euro. Aufgrund der Identität des Streitgegenstandes waren die Werte von Klage und (Hilfs-)Widerklage nicht zusammenzurechnen.
3.
Die Berufung war nicht besonders zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen.