Frank Witte

Frank Witte

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Spezialist für Bußgeldsachen

EuGH: „Widerrufsjoker“ sticht in Verbraucherdarlehensverträgen

Mit seinem Urteil vom 09.09.2021 (verbundene Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20; BeckRS 2021, 25389) hat der EuGH nun erneut die Rechte von Verbrauchern beim Widerruf von mit Kfz-Kaufverträgen verbundenen Verbraucherdarlehensverträgen (§ 358 Abs. 3 S. 1 BGB) gestärkt und damit die bisherige Rechtsprechung des BGH korrigiert.

1. In Kürze: Worum geht es?

Dem Urteil des EuGH waren drei Vorlagebeschlüsse als freiwillige Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg vom 23.01.2020, 31.03.2020 und 28.04.2020 gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Auslegung der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG (im Folgenden: VK-RL) vorausgegangen.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung Pflichtangaben in den Darlehensbedingungen der Volks-wagen Bank GmbH, von Skoda Bank, Audi AG und BMW Bank GmbH,

  • zur Bezeichnung der Art des Darlehens,
  • zur Berechnung des Verzugszinssatzes,
  • zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung sowie
  • zu einem angebotenen außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren

als unionsrechtswidrig verworfen, weil sie nicht den Vorgaben der VK-RL entsprochen haben.

Hintergrund ist, dass Art. 10 Abs. 2 VK-RL fordert, die Pflichtangaben in Verbraucherkrediten vollständig und in klarer und prägnanter Form anzugeben. Die in der VK-RL festgelegten Pflicht¬angaben (Art. 10 Abs.2 lit. a) bis v) VK-RL) wurden vom deutschen Gesetzgeber in Art. 247 §§ 3, 6 und 7 EGBGB umgesetzt.

Weil die Pflichtangaben nicht richtlinienkonform mitgeteilt wurden, hat der EuGH zudem – ent¬gegen der bankenfreundlichen Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH – im Rahmen der Auslegung von Art. 14 Abs. 1 Unter abs. 2 lit. b) VK-RL den Banken jede Möglichkeit abgesprochen, sich gegenüber den Widerrufen der Verbraucher auf Verwirkung (z. B. bei Widerruf nach vollständiger Tilgung des Verbraucherdarlehens) oder Rechtsmissbrauch (z. B. bei Kenntnis des Verbrauchers vom Widerrufsrecht) berufen zu können.

Im Gegensatz zu Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen (vgl. § 356b Abs. 2 S. 4 BGB) können ab dem 11.06.2010 abgeschlossene Mobiliar-Verbraucherdarlehensverträge (Art. 229 § 32 Abs. 4 EGBGB) bei unvollständigen oder fehlerhaften Pflichtangaben auch heute noch widerrufen werden (§ 356b Abs. 2 BGB). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Darlehen bereits vollständig getilgt wurde. Ansonsten beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage (§§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 2 S. 1 BGB).

2. Sachverhalte der Ausgangsverfahren (vereinfacht) nebst Vorlagefragen

Den drei Vorlagebeschlüssen des LG Ravensburg lagen dabei jeweils mit Kfz-Kaufverträgen verbundene Verbraucherdarlehensverträge zugrunde (§ 358 Abs. 3 S. 1 BGB), wobei die Kaufver¬träge und die von den Verkäufern vermittelten Kredite vor Ort im stationären Handel geschlos¬sen wurden.
In allen Verfahren hatten die Verbraucher ihre Widerrufe mit fehlerhaften Angaben in den Kreditverträgen begründet und die Banken die Widerrufe als verfristet zurückgewiesen.

2.1 Rechtssache C-33/20 (Volkswagen Bank GmbH)
Ein Verbraucher schloss am 19.12.2015 mit der Volkswagen Bank GmbH einen Kreditvertrag zur Teilfinanzierung eines Fahrzeuges der Marke Volkswagen mit einer Laufzeit bis zum 16.01.2020. Mit Schreiben vom 22.01.2019 widerrief der Verbraucher das Darlehen, nachdem er bis dahin die vereinbarten Raten bezahlt hatte.

Das mit der Rechtsstreitigkeit befasste LG Ravensburg bezweifelte, dass die nachstehend darge-stellten Darlehensbedingungen den Vorgaben aus Art. 10 Abs. 2 VK-RL entsprechen würden, weil diese nach Auffassung des Landgerichts nicht klar und prägnant formuliert waren.
Dies betrifft zum einen die Regelungen zum Verzugszinssatz. Der Darlehensvertrag enthielt folgende Angaben zum Verzugszinssatz:
Nach einer Vertragskündigung werden wir Ihnen den gesetzlichen Verzugszinssatz in Rechnung stellen. Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.

Ferner wurde dem Käufer ein Dokument mit dem Titel „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ (im Folgenden: ESIS-Merkblatt) zur Verfügung gestellt. Darin hieß es:

Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Der Basiszinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgesetzt.

Das Landgericht ist der Auffassung, dass die Angabe des geltenden Verzugszinssatzes oder zumindest des geltenden Referenzzinssatzes, d. h. des Basiszinssatzes nach § 247 BGB, als abso-lute Zahl fehlt und auch der Anpassungsmechanismus für den Verzugszinssatz (§§ 247, 288 Abs. 1 S.2 BGB) nicht erläutert wird (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. l) VK-RL). Des Weiteren war das Gericht der Auffassung, dass das Dokument wegen Nichtbeachtung des Schriftformerfordernisses nach § 492 Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil wurde (siehe hierzu der EuGH unter 3.2).

Weiterhin enthielt der Vertrag noch folgende vom LG Ravensburg – wegen der fehlenden Möglichkeit der annäherungsweisen Berechnung (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. r) VK-RL) – beanstandeten Hinweise zur Vorfälligkeitsentschädigung:
„Für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden kann die Bank eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Den Schaden wird die Bank nach den vom Bundesgerichtshof vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen berechnen, die insbesondere
– ein zwischenzeitlich verändertes Zinsniveau,
– die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme,
– den der Bank entgangenen Gewinn,
– den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand (Bearbeitungsent-
gelt) sowie
– die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten
berücksichtigen.

Das LG Ravensburg monierte weiterhin, dass die Bedingungen für die Kündigung des Vertrages durch den Darlehensgeber aus wichtigem Grund im Vertrag nicht angegeben wurden sowie in welcher Form diese Kündigung zu erfolgen hatte oder welche Kündigungsfristen für den Darle¬hensgeber gegolten haben (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. s) VK-RL).

Ein Hinweis auf das Recht des Darlehensnehmers zur Kündigung gemäß § 314 BGB ist in dem Darlehensvertrag ebenfalls unterblieben, zu Unrecht nach Auffassung des Landgerichts.

2.2 Rechtssache C-155/20 (Volkswagen Bank GmbH; Skoda Bank)
In zwei Fällen schlossen Verbraucher mit der Volkswagen Bank GmbH am 03.01.2015 sowie am 23.05.2016 Darlehensverträge für eine Teilfinanzierung der von ihnen erworbenen Fahrzeuge des Autobauers Volkswagen. Während der erste Verbraucher seinen Kreditvertrag kurz vor der vollständigen Erfüllung seiner Zahlungspflichten (Laufzeit bis zum 15.12.2018) am 22.11.2018 widerrief, ließ sich die Verbraucherin im zweiten Fall bis zum 05.01.2019 mit ihrem Widerruf Zeit, nachdem sie das Darlehen bereits am 01.05.2018 vollständig bedient hatte.

Im dritten Fall wurde zwischen einer Verbraucherin und der Skoda Bank (Zweigniederlassung der Volkswagen Bank GmbH) am 24.07.2014 ein Teilfinanzierungsvertrag über einen Skoda ge¬schlossen. Die Verbraucherin löste das Darlehen mit Zahlung der am 03.08.2016 fälligen Schlussrate ab; ihr Widerruf erfolgte nach über zwei Jahren am 25.04.2019.

In der Sache hatte der EuGH dieselben Darlehensbedingungen wie in der Rechtssache C-33/20 zu überprüfen (siehe oben). Des Weiteren wollte das LG Ravensburg, wohl mit Blick auf die ban-kenfreundliche Rechtsprechung des für das Bankenrecht zuständigen XI. Senats des BGH zur Verwirkung des Widerrufsrechts vom EuGH die Frage geklärt haben, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sich Kreditgeber auf den Einwand der Verwirkung oder auf Rechtsmissbrauchs berufen können.

2.3 Rechtssache C-187/20 (Audi Bank; BMW Bank)
In einem Fall schloss ein Verbraucher am 04.05.2017 mit der BMW Bank einen Autokredit zur Teilfinanzierung eines Fahrzeuges der Marke BMW mit einer Laufzeit bis zum 05.04.2021. Der Widerruf des Verbraucherdarlehensvertrages erfolgt am 13.06.2019.

In einem weiteren Fall kam es am 23.03.2016 mit der Audi Bank (ebenfalls eine Zweigniederlas¬sung der Volkswagen Bank GmbH) zum Abschluss eines Finanzierungsvertrages für ein Kfz der Marke Audi mit einem Verbraucher. Der Kreditvertrag sollte ursprünglich bis zum 01.04.2020 laufen und wurde am 12.01.2019 widerrufen.
Analog zu den Rechtssachen C-33/20 und C-155/20 hatten die beklagten Banken die identischen Regelungen zur Vorfälligkeitsentschädigung verwendet (siehe oben). Das ESIS-Merkblatt war im Fall der Audi Bank dem Verbraucher entgegen dem Schriftformerfordernis des § 492 Abs. 1 u. 2 BGB nicht auf Papier übergeben worden (siehe hierzu der EuGH unter 3.2).

Darüber hinaus hatte das LG Ravensburg noch Zweifel an der unionsrechtlichen Vereinbarkeit der nachfolgend beschriebenen, von den beiden Kreditinstituten verwendeten Darlehensbedingungen mit den Vorgaben der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG.

Zum einen reklamierte das Gericht, dass in den Verträgen nicht die Art der Darlehen als verbun¬dener und befristete Kreditvertrag definiert waren (vgl. Art. 3 lit. n), 10 Abs. 2 lit. a), c) und e) VK-RL). So enthielt das von der BMW Bank verwendete ESIS-Merkblatt nur den Hinweis „Ratenkredit mit gleichbleibenden Monatsraten und festem Zinssatz“. Die Audi Bank nutzte ein ähnliches Dokument mit demselben Titel und u. a. die Angaben „Annuitätendarlehen mit verbrieftem Rückgaberecht“ sowie „gleichbleibende Monatsraten und erhöhte Schlussrate“ (siehe hierzu der EuGH unter 3.3.1).
Das Landgericht hat mit Blick auf Art. 10 Abs. 2 VK-RL zudem kritisiert, dass in den Darlehens-verträgen nicht darüber informiert wurde, dass mit erfolgter Zahlung die Kaufpreisverbindlich¬keit gegenüber dem Autoverkäufer in dieser Höhe erlischt und der Käufer nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises die Aushändigung des gekauften Fahrzeugs vom Verkäufer verlangen kann (siehe hierzu der EuGH unter 3.1.1).
Nicht nur die Regelungen zum Recht des Darlehensgebers zur Kündigung aus wichtigem Grund (siehe oben), sondern auch die Angaben in den Kreditverträgen von BMW Bank und Audi Bank zum Recht des Darlehensnehmers zur Kündigung aus wichtigem Grund wurden vom Landge¬richt Ravensburg kritisch unter die Lupe genommen und als unionsrechtswidrig bewertet.
So hatte die BMW Bank in ihren Bedingungen § 314 BGB nicht genannt und auch nicht darauf hingewiesen, dass eine Kündigung durch den Verbraucher nach dieser Vorschrift innerhalb ei-ner angemessenen Frist zu erfolgen hat.
Die Audi Bank hatte noch nicht einmal auf das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers aus wichtigem Grund nach § 314 BGB hingewiesen. Darüber hinaus sehen die Darlehensbedingun¬gen der Audi Bank zwar das Recht des Darlehensgebers zur Kündigung aus wichtigem Grund vor, ohne jedoch anzugeben, welche Form oder Frist für diese Kündigung gilt. Ebenso wie in den beiden anderen Verfahren kritisiert das Landgericht erneut die Informationen über den Verzugszinssatz in den Darlehensbedingungen.
Der Darlehensverträge enthielten folgende Angaben zum Verzugszinssatz: BMW Bank:
Kommt der Darlehensnehmer/Mitdarlehensnehmer mit Zahlungen in Verzug, werden Verzugs¬zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr berechnet. Der Basiszinssatz wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres ermittelt und von der Deut¬schen Bundesbank im Bundesanzeiger bekannt gegeben.
Audi Bank:
Nach einer Vertragskündigung werden wir Ihnen den gesetzlichen Verzugszinssatz in Rechnung stellen. Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.
sowie zusätzlich im ESIS-Merkblatt
Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Der Basiszinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgesetzt.
Nach Überzeugung des Landgerichts verstießen die Klauseln gegen Art. 10 Abs. 2 lit. l) VK-RL, weil der Anpassungsmechanismus für den Verzugszinssatz nicht vollständig erläutert wird. So wird in den Bedingungen der BMW Bank zwar auf die zweimal im Jahr erfolgende Festlegung des Basiszinssatzes durch die Deutsche Bundesbank hingewiesen. Aber es wird nicht darüber informiert, dass dieser Zinssatz aus dem Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der Europäischen Zentralbank hergeleitet wird; zudem wird nicht auf § 247 Abs. 1 BGB (Basis-zinssatz) verwiesen. Zudem wird weder in den Darlehensbedingungen der Audi Bank noch in dem von ihr verwendeten ESIS-Merkblatt mitgeteilt, woraus der Basiszinssatz hergeleitet wird, auf den sich dieser Kreditvertrag bezieht.
Des Weiteren war das Landgericht der Auffassung, dass die Banken die Verbraucher – entgegen Art. 10 Abs. lit. t) VK-RL – nicht ordnungsgemäß über ein von ihnen angebotenes außergerichtli¬ches Beschwerdeverfahren informiert hatten hinsichtlich des Zugangs zu diesem und den Vo¬raussetzungen für seine Durchführung.
Die BMW Bank hatte in ihren Bedingungen keine Zugangsvoraussetzungen (z. B. zur Schilderung der Streitigkeit, zur Darstellung eines konkreten Begehrens und zur Beifügung der erforderlichen Unterlagen in Kopie) für ein außergerichtliches Beschwerdeverfahren benannt, sondern nur allgemein auf die „Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im Deutschen Bankgewerbe“ verwiesen, die auf Wunsch zur Verfügung gestellt werden oder auf der Internetseite des Bundesverbands der Deutschen Banken e. V. eingesehen werden können.
Einen ähnlichen Verweis enthielten die Bedingungen der Audi Bank, in denen zusätzlich klarge-stellt wurde, dass „[d]ie Beschwerde … in Textform (z. B. Brief, Telefax, E-Mail) an die Kundenbe-schwerdestelle beim Bundesverband deutscher Banken e. V., Postfach 040307, 10062 Berlin, Fax: 03016633169, E-Mail: ombudsmann@bdb.de, zu richten [ist]“.
Schließlich hat das Landgericht dem EuGH erneut Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sich damit befassen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen sich Kreditgeber auf den Einwand der Verwirkung oder auf Rechtsmissbrauchs berufen können.

3. Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat die ihm vorgelegten Darlehensbedingungen der Kreditinstitute in der Mehrzahl wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 2 VK-RL als unionrechtswidrig ausgelegt.

3.1 Wirksame Darlehensbedingungen der Banken
Dabei hat der EuGH aber nicht in allen Punkten den Auslegungszweifeln des LG Ravensburg Rechnung getragen.

3.1.1 Hinweise zur Aushändigung des Kfz durch den Verkäufer nach Darlehensauszahlung
Entgegen der Auffassung des Landgerichts – dies betrifft BMW Bank und Audi Bank – liegt kein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 VK-RL vor, wenn in einem „verbundenen Kreditvertrag“ (Art. 3 lit. N) VK-RL) zur Finanzierung eines Kfz nicht angegeben wird, dass der Verbraucher in Höhe des ausgezahlten Betrags von seiner Verbindlichkeit zur Zahlung des Kaufpreises befreit ist und dass der Verkäufer ihm, sofern der Kaufpreis vollständig beglichen ist, das gekaufte Fahrzeug auszuhändigen hat.

3.1.2 Angaben zum außerordentlichen Kündigungsrecht keine Pflicht
Der EuGH betont, dass Art. 10 Abs. 2 lit. s) VK-RL zu den Modalitäten der Kündigung des Kredit-vertrags nicht verlangt, dass im Kreditvertrag alle Situationen anzugeben sind, in denen den Parteien des Kreditvertrags ein Kündigungsrecht nicht durch diese Richtlinie, sondern nur durch die nationalen Rechtsvorschriften zuerkannt wird. Damit besteht keine Pflichten der Banken _ dies betrifft alle drei Vorlagebeschlüsse des LG Ravensburg – die Rechte von Darlehensgeber und -nehmer zur Kündigung aus wichtigem Grund im Kreditvertrag zu regeln. Die VK-RL stellt dies in das Ermessen der Banken. Mit dieser Ansicht liegt der EuGH auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BGH (Beschlüsse vom 05.11.2019, Az.: XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19).

3.2. Beurteilung der Nichteinhaltung von Formerfordernissen nur durch nationales Gericht
Soweit das LG Ravensburg Verstöße gegen Art. 10 Abs. 1 VK-RL reklamierte, weil die Pflichtan-gaben Verbrauchern nicht in Schriftform erteilt wurden (§ 492 Abs. 1 u. 2 BGB), haben diese Vorlagefragen keinen Eingang als Leitsätze im Urteil des EuGH gefunden, da sie nicht die Ausle¬gung der VK-RL betreffen.

Der EuGH verweist insoweit auf Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 VK-RL, wonach Kreditverträge entwe-der auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erstellt werden müssen. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 VK-RL stellt zudem klar, dass innerstaatliche Vorschriften über die Gültigkeit des Abschlusses von Kreditverträgen, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen, unberührt bleiben. Dies trifft auf § 492 Abs. 1 u. 2 BGB zu. Es ist daher lt. EuGH Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob diese (nationalen) Vorschriften in den Ausgangsverfah-ren eingehalten wurden.
§ 356b Abs. 1, 2 S. 1 BGB steht insoweit in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) VK-RL, wonach die 14-tägige Widerrufsfrist u. a. erst dann zu laufen beginnt, wenn die nationalen Formvorschriften (§ 492 Abs. 1, 2 u. 5 BGB) beim Abschluss des Kreditvertrags eingehalten oder nachgeholt wurden. Insoweit hätte das LG Ravensburg ohne Vorlage an den EuGH den Widerruf als zulässig beurteilen können, weil gegen die Vorgaben des § 492 BGB verstoßen wurde.

3.3 Unionsrechtswidrige Darlehensbedingungen der Banken
In den anderen Vorlagefragen konnte das LG Ravensburg dagegen beim EuGH punkten.

3.3.1 Eindeutige Bezeichnung als „verbundener und befristeter Kreditvertrag“ erforderlich
So haben dem EuGH die Pflichtangaben zur Art des Darlehens (vgl. Art. 3 lit. N), 10 Abs. 2 lit. A), c) und e) VK-RL) in den ESIS-Merkblättern von BMW Bank („Ratenkredit mit gleichbleibenden Monatsraten und festem Zinssatz“) und Audi Bank („Annuitätendarlehen mit verbrieftem Rück-gaberecht“ sowie „gleichbleibende Monatsraten und erhöhte Schlussrate“) nicht gereicht. Im Kreditvertrag ist vielmehr in klarer, prägnanter Form anzugeben, dass es sich um einen „ver-bundenen Kreditvertrag“ handelt und dass dieser Vertrag als befristeter Vertrag geschlossen wird. Diese Information ist, so der EuGH, für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt es ihm, seine Rechte und Pflichten tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen.

3.3.2 Konkrete Angabe des Verzugszinssatzes und dessen Anpassungsmechanismus erforderlich
Die Pflichtangaben aller Banken zum Verzugszinssatz haben nach Auffassung des EuGH nicht den Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 lit. l) VK-RL entsprochen, der dahingehend auszulegen ist, dass in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltende Satz der Verzugszin-sen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben (siehe §§ 288 Abs. 1 S. 2, 247 Abs. 1 S. 1 BGB) und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu beschreiben ist (siehe § 247 Abs. 1 S. 2 u. 3 BGB). Der EuGH stellt dabei fest, dass dann – dies betrifft vorliegend nach deutschem Recht alle Banken – wenn der Verzugszinssatz nach Maßgabe des von der Zentralbank eines Mitgliedstaats festgelegten und in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt bekannt gegebenen Änderung des Basiszinssatzes geändert wird (siehe § 247 Abs 2 BGB im Bundesanzeiger), ein Verweis im Kreditvertrag auf diesen Basiszinssatz ausreicht, sofern die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen nach Maßgabe des Basiszinssatzes in diesem Vertrag beschrieben wird (siehe § 247 Abs. 1 S. 2 BGB).
Insoweit sind lt. EuGH zwei Voraussetzungen zwingend zu beachten: Erstens muss die Darstel-lung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen. Zweitens muss auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden (siehe § 247 Abs. 2 S. 2 BGB). Keine der in den Rechtssachen beteiligten Banken haben diese Voraussetzungen erfüllt.
Der EuGH stellt sich zudem gegen die Rechtsprechung des BGH, der die Regelungen der Banken zum Verzugszinssatz bislang als ordnungsgemäß angesehen hatte (BGH, Beschlüsse vom 05.11.2019, Az.: XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19).

3.3.3 Nachvollziehbare Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung erforderlich
Ebenso hat der EuGH festgestellt, dass die von allen Banken wortgleich verwendeten Pflichtan-gaben zur Vorfälligkeitsentschädigung nicht den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 lit. r) VK-RL entsprechen. Das betrifft insbesondere die Hinweise der Banken auf die „vom Bundesgerichts-hof vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen“ zur Berechnung der Vorfäl-ligkeitsentschädigung. Das war dem EuGH deutlich zu wenig. Es ist zwar nicht erforderlich, dass der Kreditvertrag die mathematische Formel nennt, um die Entschädigung zu berechnen. Er muss aber die Methode zur Berechnung dieser Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise angeben, so dass dieser die Höhe der bei vorzeitiger Rückzahlung fälligen Entschädigung anhand der im Kreditvertrag gegebenen In¬formationen bestimmen kann.
Damit kassiert der EuGH auch diese Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, der diese Hinweise in den Darlehensbedingungen der Banken zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bislang als richtlinienkonform beurteilt hatte (BGH, Beschlüsse vom 05.11.2019, Az.: XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19).

3.3.4 Umfassende Angaben bei angebotenen außergerichtlichen Beschwerde- und Rechts-behelfsverfahren erforderlich
Schließlich hat der EuGH die Hinweise von Audi Bank und BMW Bank zu außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren für Verbraucher bei Rechtsstreitigkeiten wegen deren Oberflächlichkeit als Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 lit. l) VK-RL beanstandet. Dabei sind die Kreditinstitute zunächst nur verpflichtet anzugeben, ob überhaupt der Zugang zu einem außergerichtlichen Rechts-behelfsverfahren besteht. Wenn diese Möglichkeit von den Kreditinstituten in den Darlehens¬bedingungen aber bejaht wird, so müssen Verbraucher umfassend über die Voraussetzungen des Verfahrens informiert werden.

Die Luxemburger Richter betonen, dass Art. 10 Abs. 2 lit. l) VK-RL zum einen sicherstellen soll, dass der Verbraucher in voller Kenntnis des Sachverhalts entscheiden kann, ob es für ihn zweck-mäßig ist, auf eines der außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zurückzu-greifen, und zum anderen, dass er auf der Grundlage der im Kreditvertrag enthaltenen Informa¬tionen tatsächlich in der Lage ist, eine solche Beschwerde oder einen solchen Rechtsbehelf einzulegen.

Für den EuGH ist es daher von wesentlicher Bedeutung, dass der Verbraucher erstens über alle ihm zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten, zweitens darüber, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf auf Papier oder elektronisch einzureichen ist, drittens über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu sen-den ist, und viertens über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliegt, informiert wird. Insoweit reicht dem EuGH ein bloßer Verweis im Kreditvertrag auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung oder auf ein anderes Schriftstück oder Dokument, in dem die Modalitäten der außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren festgelegt sind, nicht aus.

4. Kein Einwand der Verwirkung oder von Rechtsmissbrauch bei fehlerhaften Pflichtangaben

Die Vorlagefragen des LG Ravensburg zur Auslegung von Art. 14 Abs. 1 VK-RL (Widerrufsrecht), ob und unter welchen Voraussetzungen sich Banken in Zusammenhang mit den vorgeschriebe¬nen Pflichtangaben gegenüber den Widerrufen der Verbraucher auf Verwirkung (z. B. bei Wi¬derruf nach vollständiger Tilgung des Verbraucherdarlehens) oder Rechtsmissbrauch (z. B. bei Kenntnis des Verbrauchers vom Widerrufsrecht) berufen können, hat der EuGH klar zugunsten der Verbraucher und gegen die bankenfreundliche Rechtsprechung des BGH entschieden.
Der EuGH stellt fest, dass es den Autobanken untersagt ist, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung oder auf Rechtsmissbrauch zu berufen, solange auch nur eine der in Art. 10 Abs. 2 VK-RL vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist. Dieses unbefristete Widerrufsrecht besteht dabei unabhängig davon, ob ein Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte und daher ebenso bei schuldhafter Unkenntnis.
Wohl mit Blick auf den BGH (siehe 5.2) weist der EuGH in Zusammenhang mit dem Einwand der Verwirkung darauf hin, dass die VK-RL keine zeitliche Beschränkung für die Ausübung des Wi¬derrufsrechts vorsieht, solange dem Verbraucher nicht alle erforderlichen Pflichtangaben ord¬nungsgemäß mitgeteilt wurden. Eine Beschränkung des Widerrufsrechts darf aus diesem Grund auch nicht in einem Mitgliedstaat durch nationale Rechtsvorschriften erfolgen.

Zur Thematik Rechtsmissbrauch stellt der EuGH zwar zunächst grundsätzlich fest, dass sich der Einzelne nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf Vorschriften des EU-Rechts berufen darf (= allgemeiner Grundsatz des Unionrechts). Allerdings kommen die Luxemburger zu dem Ergebnis, dass ein Rechtsmissbrauch in Zusammenhang mit dem Widerrufsrecht nach Art. 14 Abs. 1 VK-RL überhaupt nicht möglich ist, da dessen Voraussetzungen den Beginn der 14-tägigen Widerrufsfrist (einmal mehr) einzig und allein davon abhängig machen, dass dem Verbraucher alle Pflichtangaben ordnungsgemäß mitgeteilt wurden.

5. Fazit und Auswirkungen auf die Praxis

Besonders hart trifft die Banken, dass ihnen jede Möglichkeit abgeschnitten wird, Verwirkung oder Rechtsmissbrauch gegenüber Verbrauchern einzuwenden. So hatte der Generalanwalt in seinem Schlussantrag am 15.07.2021 noch moderat gefordert, dass eine Ausübung des Widerrufsrechts dann nicht mehr möglich sein soll, sobald alle vom Vertrag er¬fassten Verpflichtungen vollständig erfüllt sind. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass die Mit-gliedstaaten befugt – oder sogar verpflichtet – sind, im Rahmen ihrer eigenen Rechtsordnung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass den Kreditgebern aufgrund der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher kein finanzieller Verlust entsteht.
Dieser Vorschlag des Generalanwalts wäre durchaus interessengerecht gewesen, da er insbesondere den Autobanken aufgrund der eindeutigen zeitlichen Zäsur für den Widerruf die Mög-lichkeit gegeben hätte, das Risiko finanzieller Verluste auf die Laufzeit und beiderseitige, voll-ständige Erfüllung der Konsumentenkredite zu beschränken.

5.1 Auswirkungen für Banken und Verbraucher
Durch das Urteil des EuGH wird der „Widerrufsjoker“ noch mehr an Fahrt aufnehmen und die Banken voraussichtlich teuer zu stehen kommen.
Dies wird auch das einträgliche Geschäft der Kreditinstitute mit Restschuldversicherungen (RSV) betreffen. Diese werden häufig mit den Autokrediten abgeschlossen und durch die Darlehensraten mitgetilgt, so dass auch hier verbundene Verträge i.S.v. § 358 Abs. 3 S. 1 BGB vorliegen können (so der BGH im Fall einer BMW-Finanzierung mit RSV, Beschluss vom 31.03.2020, Az.: XI ZR 198/19) mit der Folge, dass im Fall eines Widerrufs auch sämtliche Kosten der RSV dem Verbraucher zu erstatten wären.

Da die Kreditgeber in ihren Widerrufsinformationen Verbraucher regelmäßig auf eine Wertersatzpflicht hinweisen, bleibt der Darlehensnehmer der Bank im Fall eines erfolgreichen Widerrufs jedenfalls zum Ersatz des Wertverlusts an dem finanzierten Kfz (Vergleichswertmethode) verpflichtet.

Kim Mirow

Kim Mirow

Rechtsanwältin