LG Verden: Zur gebührenrechtlichen Behandlung von Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen im Internet

Landgericht Verden vom 04.05.2012

Aktenzeichen: 3 S 59/11

1.  Zwei urheberrechtliche Abmahnungen in engem zeitlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit nach Art und Weise identischem Verletzungsvorwurf sind gebührenrechtlich als eine Angelegenheit zu behandeln.

2.  Bei der Bemessung des Gegenstandswerts von urheberrechtliche Abmahnungen wegen des Einstellens von pornografischen Filmen in Internettauschbörsen verbietet sich der Vergleich mit großen Kinoproduktionen und populären Musiktiteln; angemessen ist ein Gegenstandswert von 2.500,00 € (Abgrenzung zu LG Magdeburg v. 11.05.2011, Az. 7 O 1337/10).

(Leitsätze d. Verf.) Volltext: Urteil des LG Verden vom 04.05.2012 (3 S 59/11)

(…)

2. (…) Die Rechtsanwälte S. hätten die von der Fa. S. AG verfolgten Urheberrechtsverletzungen (bezüglich der Filme „D. G.“ und „W. T. S.“) allerdings nicht als zwei verschiedene Angelegenheiten, sondern als einheitliche Angelegenheit bearbeiten und folglich auch abrechnen müssen. Die von der Fa. S. AG geltend gemachten Urheberrechtsverletzungen haben sich zwar an unterschiedlichen Tagen ereignet (15. bzw. 22.10.2010). Sie sind von den Rechtsanwälten U. auch mit Schreiben von unterschiedlichen Tagen (26. bzw. 27.01.2011) gegenüber dem Beklagten angezeigt worden. Der Beklagte hat die beiden betreffenden Abmahnungen (zusammen mit den weiter eingegangenen Abmahnungen im Namen der Rechteinhaber M. GmbH und M. GmbH & Co. KG) jedoch den Rechtsanwälten S. als einheitlichen Vorgang überreicht. Die Abmahnungen standen ersichtlich auch in einem engen zeitlichen und tatsächlichen Zusammenhang. Der Vorwurf hinsichtlich Art und Weise der begangenen Urheberrechtsverletzung war jeweils identisch. Im Interesse des Beklagten als dem von ihnen vertretenen Mandanten hätten die Rechtsanwälte S. schon gegenüber den Rechtsanwälten U. darauf hinweisen müssen, dass die Abmahnungen hinsichtlich Filmwerken der Fa. S. AG einheitlich hätten ergehen und etwaige Kosten hierfür allenfalls nach einem kumulierten Gegenstandswert hätten berechnet werden dürfen. Demgegenüber beide Abmahnungen seitens der Fa. S. AG isoliert voneinander zu bearbeiten, stellt sich als fehlerhafte Wahrnehmung der Interessen des Beklagten dar. Tatsächlich ist auf beide (nahezu identischen) Abmahnungen durch die Rechtsanwälte S. für den Beklagten auch nahezu identisch reagiert worden. Unterschiede in der Prüfung des Einzelfalls gab es ganz offensichtlich nicht. Diese fehlerhafte Vorgehensweise darf nicht dadurch honoriert werden, dass die Rechtsanwälte S. ihre Tätigkeit hinsichtlich dieser Abmahnungen jeweils einzeln abrechnen.
3. Der Gegenstandswert für die Befassung mit den von den Rechteinhabern durch die Rechtsanwälte U. geltend gemachten Ansprüchen kann nach Auffassung der Kammer – für jede einzelne bearbeitete Urheberrechtsverletzung – weder mit 30.650,00 € (wie den Rechnungen zu Grunde gelegt) noch mit 25.000,00 € (wie es das Amtsgericht sowie die Rechtsanwälte U. in ihren Abmahnungen getan haben) festgesetzt werden. Der Gegenstandswert eines Anspruchs auf Unterlassung aufgrund eines Urheberrechts bemisst sich nach dem gern. § 3 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 frei zu schätzenden Interesse des Anspruchsstellers (siehe auch § 32 RVG), nämlich dem Interesse der Rechteinhaber daran, ein weiteres Anbieten der jeweiligen Filme durch den Beklagten im Internet zu verhindern. Die Anspruchssteller haben in ihren von den Rechtsanwälten U. verfassten Abmahnungen den Gegenstandswert jeweils mit 25.000,00 € angegeben. Wenn auch für die Dienstleistungen des Rechtsanwalts, der von dem Abgemahnten beauftragt worden ist, nicht zwangsläufig der dort angegebene Wert, sondern der tatsächliche Wert des rechtlich verfolgten Interesses maßgeblich ist, darf grundsätzlich der Anwalt, der mit der Abwehr bzw. Beantwortung der geltend gemachten Ansprüche beauftragt wird, seiner Tätigkeit denselben Gegenstandswert zu Grunde legen, wie dies auch der Anspruchsteller tut. Das gilt im vorliegenden Fall aber nicht. Denn der von den Rechtsanwälten U. (einer auf gewerblichen Rechtsschutz spezialisierten Anwaltskanzlei) zu Grunde gelegte Gegenstandswert ist – gerade auch für die Rechtsanwälte S. (ebenfalls im gewerblichen Rechtsschutz spezialisiert) erkennbar – offensichtlich unangemessen hoch.
Bei der Bemessung des Gegenstandswerts sind die Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei sind der Umfang und das Ausmaß der Urheberrechtsverletzung sowie der mögliche Schaden, der bei einer Fortsetzung des illegalen Anbietens des Filmes im Internet und ggf. neuem Einstellen von Filmen in Tauschbörsen droht, zu berücksichtigen. Einen Wert von jeweils 25.000,00 € (pro Film) vermag die Kammer als Interesse der jeweiligen Urheberrechtsinhaber an deren Vorgehen gegen den Beklagten nicht zu erkennen. Der Beklagte hat – so der Vorwurf – vier pornografische Filme heruntergeladen und in eine Tauschbörse gestellt. Über welchen Zeitraum das Zurverfügung-Stellen erfolgte ist nicht bekannt, ebenso so wenig wie häufig der Film von anderen Personen aus der Tauschbörse ihrerseits heruntergeladen wurden. Pornografische Filme können zudem mit verhältnismäßig geringen (auch finanziellen) Mitteln hergestellt werden, insbesondere da nur wenig Darsteller beteiligt sind. Daher verbietet sich der Vergleich mit größeren Kinoproduktionen, die mit weitaus größerem Aufwand insbesondere hinsichtlich der beteiligten Schauspieler sowie verwendeter Kulissen bzw. Drehorte hergestellt werden und zudem stets eine sehr viel kompliziertere Drehbuchidee erfordern, als dies bei einem pornografischen Film der Fall ist, in dem stets wiederkehrende sexuelle Handlungen gezeigt werden, die keiner besonderen Originalität bedürfen. Aber auch im Vergleich mit Musiktiteln verbietet sich jedenfalls bei Titeln und Alben von besonders populären und vielgehörten Interpreten wie „Bushido“, „Culcha Candela“ und „Tokio Hotel“ ein 1:1-Vergleich. Vor dem Hintergrund, dass – wie von den Parteien dargelegt – Gerichte für Urheberrechtsverletzungen hinsichtlich eines Musiktitels von Bushido max. 2.500,00 € (AG Celle 15 C 1335/10), hinsichtlich eines Albums von Marius Müller-Westernhagen 2.000,00 € (AG Elmshorn 49 C 57/10) als Gegenstandswerte festgesetzt haben und das OLG Frankfurt – nach Zurückverweisung durch den BGH – hinsichtlich einer Urheberrechtsverletzung hinsichtlich des Kinofilms „Sommer unseres Lebens“ mit Urteil vom 21.12.2010 (11 U 52/07) den Gegenstandswert ebenfalls mit 2.500,00 € festgesetzt hat, hält die Kammer für die Verfolgung der Urheberrechtsverletzung des Beklagten hinsichtlich der hier gegenständlichen Pornofilme jeweils einen Gegenstandswert von 2.500,00 € für angemessen.
Dabei übersieht die Kammer nicht, dass das Landgericht Magdeburg in einem Urteil vom 11.05.2011 (7 0 1337/10) den Gegenstandswert hinsichtlich eines pornografischen Films mit 10.000,00 € angenommen hat. Das Landgericht Magdeburg hat seine Wertfestsetzung allerdings nicht begründet. Es führt lediglich aus: „Die Berechnung der Kosten nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR entspricht der Streitwertfestsetzung der Kammer in derartigen Fällen. Maßgeblich hierbei ist das Interesse des Klägers, seine Rechte als Urheber des geschützten Werkes effektiv zu wahren, nicht zuletzt durch eine gewisse Abschreckung (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 28. Auflage, § 3, Rn. 16 Unterlassung)“. „Derartige Fälle“, die die Kammer des Landgerichts Magdeburg bisher entschieden hatte, hatten aber offensichtlich keine Pornofilme zum Gegenstand. Sonst wäre zu erwarten gewesen, dass das Landgericht Magdeburg in seine Urteilsausführungen auch im Übrigen auf vorherige Entscheidungen Bezug genommen hätte. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr macht das Landgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 11.05.2011 noch Ausführungen dazu, ob ein pornografischer Film überhaupt ein geschütztes Werk i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG sein kann, was unter Bezugnahme auf eine Kommentarstelle, nicht aber unter Bezugnahme auf vorangegangene Rechtsprechung des Landgerichts Magdeburg „ungeachtet der künstlerischen Qualität oder moralischen Berechtigung derartiger Werke“ bejaht wird. Das Landgericht Magdeburg hat in seinem Urteil vom 11.05.2011 also offensichtlich nicht zwischen einer Wertfestsetzung bei (Kino-) Filmen und bei pornografischen Filmen differenziert, was nach Auffassung der Kammer aus o. g. Gründen aber zwingend erforderlich ist.
Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass bei Urheberrechtsverletzungen bezüglich von (Kino-)Filmen auch Gegenstandswerte von über 25.000,00 € für angemessen gehalten werden. In solchen Fällen handelte es sich aber stets um kommerziell erfolgreiche Filme mit erheblichem Produktionsaufwand, die zudem erst kurze Zeit vor der beanstandeten Urheberrechtsverletzung veröffentlicht worden waren. Dass die hier gegenständlichen Filme – auch im Vergleich zu sonstigen pornografischen Filmen besonders erfolgreich waren, sie sich vom Aufwand erheblich abhoben und/oder nur kurze Zeit vor der dem Beklagten vorgeworfenen Urheberrechtsverletzung veröffentlicht worden waren, kann hier nicht festgestellt werden, wird von der Klägerin auch nicht behauptet. (…)