Verdachtskündigung: Wann kann ein Arbeitsverhältnis auf bloßen Verdacht gekündigt werden?
1. Was ist eine Verdachtskündigung?
Ein Arbeitgeber kann einem Mitarbeiter nicht nur kündigen, wenn dieser eine schwere Pflichtverletzung begangen hat, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch dann, wenn lediglich der dringende Verdacht besteht, dass eine solche Pflichtverletzung vorliegt. Dies wird als Verdachtskündigung bezeichnet.
Das bedeutet: Schon der Verdacht eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens kann ausreichen, um eine fristlose Kündigung nach § 626 BGB zu rechtfertigen – allerdings nur, wenn objektive Anhaltspunkte diesen Verdacht begründen und das Vertrauen in den Mitarbeiter so schwer erschüttert ist, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheint.
Die Verdachtskündigung ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt und spielt besonders in sensiblen Arbeitsbereichen eine große Rolle – etwa dort, wo Arbeitnehmer mit Geld, sensiblen Daten oder hohen Werten umgehen.
Wichtige Abgrenzung: Tatkündigung vs. Verdachtskündigung
- Tatkündigung: Der Arbeitgeber ist überzeugt, dass der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat und kündigt deshalb.
- Verdachtskündigung: Der Arbeitgeber kann die Tat nicht sicher beweisen, hat aber starke Hinweise darauf und hält eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar.
Ein klassisches Beispiel wäre der Verdacht eines Diebstahls: Wurde ein Arbeitnehmer beim Kassieren beobachtet und ist sichergestellt, dass er Geld aus der Kasse entnommen hat, kann eine Tatkündigung erfolgen. Wird hingegen nur festgestellt, dass regelmäßig Geld fehlt und der Mitarbeiter als einziger Zugang hatte, kann dies eine Verdachtskündigung rechtfertigen.
2. Voraussetzungen einer wirksamen Verdachtskündigung
Damit eine Verdachtskündigung vor Gericht Bestand hat, müssen strenge Voraussetzungen erfüllt sein. Arbeitgeber dürfen nicht einfach „auf Verdacht“ kündigen, sondern müssen einen klaren Ablauf einhalten.
a) Der Verdacht muss dringend sein
Nicht jeder Verdacht reicht aus – er muss auf objektive Indizien gestützt sein und eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung begangen hat. Die Verdachtsmomente dürfen nicht auf bloßen Spekulationen beruhen.
Beispiel:
✔ Dringender Verdacht: Ein Arbeitnehmer hat als einziger Zugriff auf eine Kasse. Immer wenn er allein arbeitet, fehlen hohe Summen.
✘ Unzureichender Verdacht: Der Arbeitgeber hört ein Gerücht über einen Diebstahl, hat aber keinerlei weitere Anhaltspunkte.
b) Sachverhaltsaufklärung durch den Arbeitgeber
Eine Verdachtskündigung ist nur dann wirksam, wenn der Arbeitgeber den Verdacht vorher gründlich geprüft hat. Dazu gehört insbesondere:
- Ermittlung der Fakten (z. B. durch Videoaufzeichnungen oder Zeugen)
- Prüfung, ob alternative Erklärungen möglich sind
- Sicherstellung, dass keine voreilige Entscheidung getroffen wird
c) Anhörung des Arbeitnehmers
Besonders wichtig: Vor einer Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer anhören! Dies dient dazu, dem Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, den Verdacht zu entkräften oder eine Erklärung abzugeben.
Die Anhörung muss klarstellen:
- Was dem Arbeitnehmer konkret vorgeworfen wird
- Welche Indizien den Verdacht begründen
- Dass der Arbeitnehmer die Gelegenheit hat, sich zu verteidigen
Versäumt der Arbeitgeber die Anhörung, ist die Kündigung unwirksam!
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer wird verdächtigt, Kundendaten unrechtmäßig an Dritte verkauft zu haben. Vor einer Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber ihm diese Vorwürfe mitteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
d) Interessenabwägung
Selbst wenn ein dringender Verdacht besteht, muss das Gericht im Kündigungsschutzprozess eine Interessenabwägung vornehmen:
- Wie lange war der Arbeitnehmer beschäftigt?
- Gab es vorher eine tadellose Zusammenarbeit?
- Welche Stellung hatte der Arbeitnehmer (z. B. leitende Position mit Vertrauensstellung)?
- Besteht die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz?
Je nach Einzelfall kann ein langjähriges, unauffälliges Arbeitsverhältnis gegen eine sofortige Beendigung sprechen.
e) Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist
Nach § 626 Abs. 2 BGB muss eine außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen erfahren hat, ausgesprochen werden.
Diese Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Arbeitgeber ausreichend Informationen gesammelt und den Arbeitnehmer angehört hat. Lässt sich der Arbeitgeber zu viel Zeit, kann er sich nicht mehr auf den Verdacht berufen.
3. Welche Risiken bestehen für den Arbeitgeber?
Eine Verdachtskündigung ist besonders heikel, da der Arbeitnehmer möglicherweise unschuldig ist. Wird die Kündigung später als unwirksam eingestuft, kann das für den Arbeitgeber teuer werden – etwa durch:
- Nachzahlung des Lohns für den Zeitraum des Prozesses
- Wiedereinstellung des gekündigten Arbeitnehmers
- Mögliche Schadenersatzforderungen des Arbeitnehmers
Deshalb ist es für Arbeitgeber dringend ratsam, sich vor einer Verdachtskündigung arbeitsrechtlich beraten zu lassen, um Fehler zu vermeiden.
4. Kann der Arbeitnehmer gegen eine Verdachtskündigung vorgehen?
Ja! Der Arbeitnehmer kann gegen eine Verdachtskündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht einreichen. Das Gericht prüft dann, ob:
- Der Verdacht tatsächlich ausreichend begründet war
- Der Arbeitgeber die vorgeschriebenen Verfahrensschritte eingehalten hat
- Die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfällt
Falls sich der Verdacht im Nachhinein als unbegründet herausstellt, kann unter bestimmten Umständen sogar ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen.
5. Fazit: Eine Verdachtskündigung muss gut überlegt sein
Die Verdachtskündigung ist ein arbeitsrechtliches „Scharfes Schwert“, das zwar unter bestimmten Umständen zulässig ist, aber hohe Hürden hat. Ein Arbeitgeber muss genau abwägen, ob der Verdacht schwer genug wiegt und eine Kündigung rechtfertigt. Ohne gründliche Prüfung, Anhörung des Arbeitnehmers und eine fundierte Interessenabwägung kann eine Verdachtskündigung schnell unwirksam sein.
Unser Rat:
Wenn Ihnen als Arbeitnehmer eine Verdachtskündigung droht oder Sie als Arbeitgeber unsicher sind, ob eine Verdachtskündigung zulässig ist, lassen Sie sich frühzeitig beraten. Gerne unterstützen wir Sie in allen Fragen des Arbeitsrechts an unseren Standorten in Sulingen, Bremen, Osnabrück oder Online.
FAQs zur Verdachtskündigung
1. Was genau ist eine Verdachtskündigung?
Eine Verdachtskündigung ist eine Kündigung, die ausgesprochen wird, wenn der Arbeitgeber den dringenden Verdacht hat, dass der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat. Ein eindeutiger Beweis ist nicht erforderlich, aber der Verdacht muss durch objektive Indizien begründet sein.
2. Wann ist eine Verdachtskündigung wirksam?
Eine Verdachtskündigung ist nur wirksam, wenn:
- Der Verdacht dringend ist und auf objektiven Tatsachen beruht.
- Der Arbeitnehmer vorher angehört wurde.
- Eine umfassende Interessenabwägung stattgefunden hat.
- Die Kündigung fristgerecht innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen wurde.
3. Was kann ich tun, wenn mir eine Verdachtskündigung ausgesprochen wurde?
Sie sollten innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Andernfalls wird die Kündigung wirksam, selbst wenn sie ungerechtfertigt war.
4. Kann eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung ausgesprochen werden?
Ja, in manchen Fällen kann eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung erfolgen, etwa wenn der Arbeitnehmer unter Kündigungsschutz steht. Aber auch hier müssen die Verdachtsmomente „erdrückend“ sein.
5. Muss der Arbeitgeber mich vor der Kündigung anhören?
Ja! Eine Anhörung des Arbeitnehmers ist eine zwingende Voraussetzung für eine Verdachtskündigung. Fehlt sie, ist die Kündigung unwirksam.
6. Welche Rolle spielt ein Strafverfahren bei der Verdachtskündigung?
Ein laufendes Strafverfahren kann Einfluss auf den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozess haben. Allerdings entscheidet das Arbeitsgericht unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer strafrechtlich verurteilt wurde oder nicht.
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Björn Steveker
