Frank Witte

Frank Witte

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Spezialist für Bußgeldsachen

Anschaffung eines Interimsfahrzeugs bei langer Reparaturdauer

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat in seinem Urteil vom 16. April 2024 (Az. 7 U 109/23 = DAR 2024, 511) entschieden, dass ein Geschädigter, der durch einen Unfall einen langen Nutzungsausfall seines Fahrzeugs hinnehmen muss, verpflichtet ist, ein Interimsfahrzeug anzuschaffen, um den Schaden zu minimieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn aufgrund langer Lieferzeiten für Ersatzteile eine längere Reparaturdauer absehbar ist. Das Urteil beleuchtet wichtige Aspekte des Schadensersatzrechts und die Pflichten des Geschädigten zur Schadensminderung.

Sachverhalt

Der Kläger, dessen Ford Transit Euroline/Nugget durch einen Verkehrsunfall am 11. Oktober 2021 erheblich beschädigt wurde, konnte sein Fahrzeug nach einer Notreparatur nicht mehr verkehrssicher nutzen.

Ein Sachverständiger prognostizierte eine Reparaturzeit von 10 bis 12 Tagen. Die notwendigen Ersatzteile wurden zwar frühzeitig bestellt, aber aufgrund von Lieferengpässen – verstärkt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie – konnte die Reparatur erst im August 2022 abgeschlossen werden.

Der Kläger verlangte für den Nutzungsausfall seines Fahrzeugs über einen Zeitraum von 307 Tagen eine Entschädigung von 19.955 € (65 € pro Tag). Die Versicherung der Beklagten, die die Haftung für den Unfall anerkannte, erstattete jedoch keine Nutzungsausfallentschädigung.

Entscheidung des OLG

Das OLG Schleswig bestätigte den Anspruch des Klägers auf Schadensersatz, wies aber die Forderung nach einem Nutzungsausfallschaden für den gesamten Zeitraum zurück. Das Gericht entschied, dass der Kläger seiner Schadensminderungspflicht nachkommen musste und spätestens ab Dezember 2021 ein Interimsfahrzeug hätte anschaffen müssen, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dies ergibt sich aus der zu erwartenden längeren Lieferzeit der benötigten Ersatzteile und den bekannten Problemen in der Lieferkette während der Corona-Krise.

Pflichten zur Schadensminderung

Laut dem Urteil ergibt sich aus § 254 BGB eine Obliegenheit des Geschädigten, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dies bedeutet, dass der Kläger sich rechtzeitig um eine Alternative hätte bemühen müssen, als klar wurde, dass die Reparatur erheblich länger dauern würde. Die Pflicht zur Schadensminderung umfasst dabei nicht nur die Abwägung, ob ein Interimsfahrzeug benötigt wird, sondern auch, ob es zumutbar ist, ein solches zu beschaffen, selbst wenn das Fahrzeug hauptsächlich zu privaten Zwecken genutzt wurde.

Das OLG entschied weiter, dass dem Kläger das Wissen der Werkstatt zugerechnet werden müsse. Nach § 166 BGB sei dieses Wissen auf den Kläger übertragbar, da er die Werkstatt mit der Reparatur beauftragt und regelmäßig nach dem Status gefragt hatte. Die Reparaturverzögerungen hätten für ihn erkennbar sein müssen.

Folgen für den Schadensersatz

Das OLG gestand dem Kläger lediglich einen Nutzungsausfallschaden bis Ende November 2021 zu. Für die Zeit danach hätte er sich ein Ersatzfahrzeug anschaffen müssen. Das Gericht schätzte die Kosten für ein Interimsfahrzeug auf 2.500 €, wobei es davon ausging, dass der Kläger das Fahrzeug nach der Reparatur seines Wagens wieder hätte verkaufen können, und dieser Wiederverkauf den wirtschaftlichen Schaden reduziert hätte.

Bedeutung des Urteils

Das Urteil des OLG Schleswig stellt klar, dass Geschädigte bei absehbar langen Reparaturzeiten verpflichtet sind, aktiv zur Schadensminderung beizutragen. Sie müssen nicht auf die vollständige Reparatur ihres Fahrzeugs warten, wenn es Alternativen gibt, die den wirtschaftlichen Schaden begrenzen können. Dies betrifft insbesondere die Nutzungsausfallentschädigung, die nicht unbegrenzt gefordert werden kann, wenn der Erwerb eines Ersatzfahrzeugs zumutbar ist.

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FAQ:

  1. Was bedeutet die Schadensminderungspflicht nach einem Verkehrsunfall? Die Schadensminderungspflicht verpflichtet den Geschädigten, alles Zumutbare zu unternehmen, um den Schaden nach einem Unfall zu begrenzen. Dazu kann die Anschaffung eines Interimsfahrzeugs gehören, wenn eine längere Reparaturdauer absehbar ist.
  2. Wann muss ich ein Interimsfahrzeug anschaffen? Ein Interimsfahrzeug muss dann beschafft werden, wenn klar ist, dass sich die Reparatur des eigenen Fahrzeugs erheblich verzögert, beispielsweise aufgrund von Lieferengpässen für Ersatzteile.
  3. Wer trägt die Kosten für ein Interimsfahrzeug? Die Kosten für ein Interimsfahrzeug können im Rahmen des Schadensersatzes geltend gemacht werden, wenn die Anschaffung notwendig war, um den Schaden durch den Nutzungsausfall zu begrenzen. Diese Kosten werden allerdings abzüglich des möglichen Wiederverkaufswerts des Ersatzfahrzeugs erstattet.
  4. Wie lange kann ich Nutzungsausfallentschädigung verlangen? Die Nutzungsausfallentschädigung wird in der Regel nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt. Wenn sich abzeichnet, dass eine längere Reparaturdauer zu einem erheblichen Nutzungsausfall führt, sind Maßnahmen zur Schadensminderung, wie die Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs, erforderlich.
Kim Mirow

Kim Mirow

Rechtsanwältin