Frank Witte

Frank Witte

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Spezialist für Bußgeldsachen

Informatische Befragung statt sich aufdrängender Beschuldigtenbelehrung
führt zum Beweisverwertungsverbot

In Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort stattet die Polizei oftmals dem Halter eines vermeintlich unfallverursachenden Fahrzeugs einen Besuch zu Hause ab. Im Rahmen der informatorischen Befragung, z.B. ob der Halter das Fahrzeug zur Tatzeit gefahren hat, wird vielfach aufgrund der Überrumpelung vor Ort wahrheitsgemäß mit „Ja“ geantwortet. Die Fahrereigenschaft ist damit eingeräumt und das Strafverfahren gegen den Halter als Beschuldigten nimmt seinen Lauf.

In einem solchen Fall hat das LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 28.06.2022, Az: 5 Qs 40/22) den „§ 111a- Beschluss“ über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben, da die Halterin nicht als Beschuldigte belehrt wurde, obwohl deren Beschuldigtenstatus von Anfang an erkennbar war. Die Durchführung der informatorischen Befragung war ermessensfehlerhaft – mit der Folge, dass die Ergebnisse aus der Befragung unverwertbar sind und demnach kein dringender Tatverdacht gegen die Beschuldigte besteht.

Sachverhalt:
Der Betroffenen wurde vorgeworfen, am 22.02.2022 beim Ausparken mit ihrem Pkw ein anderes Fahrzeug beschädigt (Fremdschaden in Höhe von 3.268,69 Euro) und sich trotz Bemerkbarkeit des Unfalls vom Unfallort entfernt zu haben, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Ein Zeuge meldete der Polizei das Kennzeichen des unfallverursachenden Fahrzeugs mit der Beschreibung der Fahrzeugführerin als „eine ältere Dame, ca. 50-70 Jahre“. Über die Kennzeichenabfrage wurde die Halterin an ihrer Anschrift angetroffen. Im Rahmen eines informatorischen Gesprächs räumte sie die Fahrereigenschaft gegenüber der Polizei ein. Nachdem sie als Beschuldigte belehrt wurde, machte sie vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Das Amtsgericht ordnete die Beschlagnahme des Führerscheins an und entzog vorläufig die Fahrerlaubnis. Hiergegen legte sie erfolgreich Beschwerde ein.

Begründung:
Das LG Nürnberg-Fürth verneint den dringenden Tatverdacht für ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Denn eine Identifizierung der Angeklagten als verantwortliche Fahrzeugführerin sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit gegeben. Es nimmt dabei Bezug auf den BGH-Beschluss vom 27.02.1992 (Az: 5 StR 190/91), der klargestellt hat, dass eine verdächtige Person nicht aus sachfremden Erwägungen in die Rolle des Zeugen gedrängt werden darf, wenn es ausreichende Gründe dafür gibt, dass die Person Beschuldigter sein kann. Auch wenn der Polizeibeamte einen gewissen Beurteilungsspielraum hat, darf er diesen nicht durch eine „informatorische Befragung“ mit dem Ziel missbrauchen, den Zeitpunkt der Beschuldigtenbelehrung möglichst weit hinauszuschieben.

Genau dies sei hier aber passiert: Es war seitens des Polizeibeamten ermessensfehlerhaft gewesen, die Beschwerdeführerin als mögliche Täterin nicht vor der Befragung als Beschuldigte zu belehren. Auch wenn andere Personen als Nutzer des Fahrzeugs grundsätzlich in Betracht kommen, verdichtete sich hier der Tatverdacht aufgrund der Personenbeschreibung, die der Zeuge abgegeben hatte. Der Zeuge meldete eine „ältere Dame, ca. 50-70 Jahre“. Die angetroffene Angeklagte als Halterin ist 80 Jahre und passt offensichtlich zur Täterbeschreibung. Es musste sich daher dem Polizisten vor der Befragung aufdrängen, dass sie die Fahrerin zum Unfallzeitpunkt gewesen sein könnte.

Aus der Verletzung der Belehrungspflicht folgt das Beweisverwertungsverbot. Zwar lässt die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die Halterin des unfallverursachenden Fahrzeugs ist und auch die Personenbeschreibung vage auf sie zutrifft, den Tatverdacht nicht komplett entfallen. Es sei aber kein dringender Tatverdacht gegeben. Ob sich die Angeklagte als Fahrerin strafbar gemacht hat, bleibt der Hauptverhandlung und der Durchführung weiterer Ermittlungen vorbehalten.

Auswirkungen auf die Praxis:
Bereits im Jahr 2013 fand das OLG Nürnberg klare Worte zum Thema der Vernehmung des Fahrzeughalters und entsprechender Belehrungspflicht als Beschuldigter (Beschluss vom 04.07.2013, Az: 2 OLG Ss 113/13). Auch wenn beide Entscheidungen aus der Region Nürnberg kommen, empfiehlt sich stets die genaue Prüfung, inwieweit eine informatorische Befragung des Fahrzeughalters zum Beschuldigtenstatus geführt hat und ob das Ermessen der Beamten bei der Unterlassung der Beschuldigtenbelehrung fehlerfrei ausgeübt wurde. Denn der aktuelle Fall des LG Nürnberg-Fürth zeigt, dass eine unterbliebene Beschuldigtenbelehrung und ein Schweigen der Beschuldigten zumindest zu einem (Teil-) Erfolg in der Strafverteidigung führen können.

Kim Mirow

Kim Mirow

Rechtsanwältin