Kündigung oder Abmahnung wegen Corona-Whistleblowing?
Die Corona-Pandemie hält die Welt seit über einem Jahr in Atem. Der Gesetzgeber hat als Reaktion diverse Gesetze und Verordnungen erlassen bzw. angepasst. Mittlerweile gibt es auch zahlreiche arbeitsgerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pandemie. Wenig überraschend ist, dass Arbeitgeber Verstöße von Mitarbeitern gegen Verhaltensregeln mit arbeitsrechtlichen Mitteln ahnden können. Fraglich ist jedoch, ob Arbeitnehmer*innen im umgekehrten Fall, wenn sie auf die Einhaltung von „Corona-Regeln“ drängen und ggf. Verstöße zur Anzeige bringen, ebenfalls mit Abmahnungen oder Kündigungen rechnen müssen oder ob sie geschützt sind.
Kündigung wegen Verletzung von Quarantänebestimmungen durch den Arbeitgeber?
Das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau (Urteil vom 12.08.2020, 1 Ca 65/20) hatte über eine fristlose Kündigung zu entscheiden, die ausgesprochen wurde, weil ein Mitarbeiter in einer E-Mail an den Landkreis über eine Verletzung der Quarantänebestimmungen des Arbeitgebers berichtete und um Einschätzung und ggfs. Einleitung rechtlicher Schritte bat. Der Landkreis informierte die Polizei, die wiederum eine Anzeige aufnahm. Nachdem der Geschäftsführer von dem Ermittlungsverfahren erfuhr, sprach er die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung aus. Das Arbeitsgericht entschied, dass die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Grundsätzliche könne die Anzeige eines Arbeitnehmers zulasten des Arbeitgebers zwar eine Kündigung rechtfertigen, entscheidend sei, aus welcher Motivation die Anzeige erfolgte und ob die Anzeige letztlich als eine unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers auf das Verhalten des Arbeitgebers angesehen werden kann. Das Gericht stellte fest, dass die Vorgehensweise des Arbeitnehmers durchaus nachvollziehbar war: „Die Nachfrage bei der Polizei sowie die Information des Landkreises Wittenberg und die Einholung einer Rechtsauskunft über den Umfang der Quarantänebestimmungen in der E-Mail vom 30.03.2020 stellen keine unverhältnismäßige Reaktion des Klägers auf das Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten dar.“ Der Arbeitnehmer war auch nicht verpflichtet, zunächst auf eine innerbetriebliche Klärung mit seinem Arbeitgeber herbeizuführen, denn es handelte sich nicht um einen innerbetrieblichen Missstand, sondern um eine Verletzung einer behördlichen Quarantänebestimmung.
Abmahnung wegen der Anzeige betrieblicher Hygienemissstände
Auch Abmahnungen wegen der Anzeige von betrieblichen Hygienemissständen oder Verstößen gegen Arbeitsschutzbestimmungen dürften regelmäßig unzulässig sein. Ein Fehlverhalten von Arbeitnehmer*innen liegt wegen einer Anzeige gegen den Arbeitgeber nur vor, wenn in der Anzeige wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben in unredlicher Motivation gemacht werden. Arbeitnehmer*innen sollten sich vor der externen Anzeige außerdem innerbetrieblich um Abhilfe bemühen.
Arbeitnehmer*innen können Verstöße des Arbeitgebers demzufolge zur Anzeige bringen, ohne dass sie arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Das gilt freilich nur dann, wenn sie den Sachverhalt, auf den sie sich stützen, vollständig und wahrheitsgemäß wiedergeben. Wenn nicht Gefahr in Verzug ist, dürfte sich schon im Hinblick auf das Betriebsklima empfehlen, zunächst auf eine innerbetriebliche Klärung hinzuwirken. Sowohl eine (Straf-)Anzeige als auch die arbeitgeberseitige Reaktion sollten zunächst mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht besprochen werden, um negative Konsequenzen zu vermeiden.